Wind Die Chroniken von Hara 1
auch er bot keinen sonderlich appetitlichen Anblick.
Ich trat auf die Straße hinaus und stieß einen erstaunten Pfiff aus: Überall lagen Bretter und Balken aus Kiefern, denn die Häuser unserer nächsten Nachbarn waren ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen worden. Nirgends eine Menschenseele. Alle versteckten sich unter den Betten und in den Kellern. Von denen würde so schnell keiner die Nase in den Wind halten. Gut! Dann kamen sie uns wenigstens nicht in die Quere. Ich ging zurück und zog mein Beil aus dem Körper des Untoten.
»Alles in Ordnung?« Lahen trat an mich heran.
»Ja. Du siehst nur nicht jeden Tag, wie das Dach deines eigenen Hauses das Fliegen lernt.« Mehr als ein schiefes Grinsen brachte ich nicht zustande. »Wie wenig ich immer noch von deinen Talenten weiß.«
»Wir können von Glück sagen, dass es bisher nicht nötig war, dir mehr Kostproben davon zu geben«, antwortete sie allzu beiläufig. »Lass uns aufbrechen. Der Hilss saugt meine Magie auf. Lange werde ich nicht mehr über ihn gebieten.«
Ich begriff nicht gleich, dass sie mit
Hilss
diesen überaus lebendigen Stab des Nekromanten meinte. Aber wahrscheinlich durften wir noch froh sein, wenn dieses Ding nur die Magie aus Lahen heraussaugte – und nicht auch ihre Seele.
»Ja, lass uns gleich verschwinden«, stimmte ich zu.
Meine guten Kämpen sahen aus, als seien sie ein Jahr lang durch einen Dachsbau gekrochen: dreckig wie die Sumpfblasgen und grimmig wie Nirithen, wenn ihre Königin beleidigt wird. Gnuzz zeterte nach wie vor. Knuth hustete noch immer und spähte mit tränenverhangenen Augen um sich. Bamuth war der Einzige, der sich bereits wieder gefasst zeigte. Er hielt die Armbrust im Anschlag und linste aufmerksam die Umgebung ab, für den Fall, dass jemand auftauchen sollte, der unbedingt in Erfahrung bringen wollte, was sich hier zugetragen hatte.
Shen nieste laut, warf die Ofengabel weg und trat an den Körper des Untoten heran, um das Schwert aufzuheben. Blieb nur zu hoffen, dass dieser Milchbart etwas mehr vermochte als zu heilen. Gnuzz schien seinen Vorrat an Flüchen irgendwann doch aufgebraucht zu haben und verstummte.
»Seid ihr jetzt endlich so weit?«, fragte Bamuth nervös.
Damit kam er mir nur den Bruchteil einer Sekunde zuvor, lag mir doch dieselbe Frage auf der Zunge.
»Schrei nicht so!«, krächzte Knuth und spuckte aus. »Wir kommen ja schon.«
»Hast du das gesehen?!« In seiner Aufregung verschluckte sich Luk fast an den Worten. »Da platzt doch die Kröte! Was ist da bloß los, wenn gleich das ganze Dach in die Luft geht?!«
»Weiß ich auch nicht.« Ga-nor blickte mit finsterer Miene auf die sich auflösende Staubwolke.
Auf der anderen Seite des Flusses liefen die Nabatorer aufgeregt hin und her.
»Ich verwette einen Zahn, dass da dieser Nekromant seine Finger im Spiel hatte«, sagte Luk. »Dem hat die Nase von irgendwem nicht gepasst, da hat er die Beherrschung verloren. Bei diesen Sdissern stimmt doch was im Oberstübchen nicht. Kein Wunder, schließlich geben die sich sogar mit Toten ab! Aber lass dir eins gesagt sein: Für uns nimmt das kein gutes Ende. Die durchkämmen jetzt das Dorf und reißen links und rechts alles nieder, und irgendwann finden sie uns!«
Ga-nor reckte sich so, dass seine Knochen knirschten. Anschließend stand er leichtfüßig auf und packte seine Sachen in den Sack.
»Was hast du vor?«, wollte Luk wissen.
»Das fragst du noch?! Die Nabatorer krabbeln durch die Gegend wie Läuse übern Kopf. Die haben überhaupt keine Augen für uns, dazu ist die Sache zu ernst. Die Gelegenheit sollten wir beim Schopfe packen und uns in den Wald schlagen.«
»Aber dann sind wir Greise, wenn wir in Alsgara ankommen«, maulte Luk. »Gibt es keinen anderen Weg?«
»Schon. Da über die Brücke – und weiter direkt auf den Mittagstisch des Sdissers. Der würde sich bestimmt freuen, dich zu sehen«, giftete Ga-nor. »Mach dir nicht zu viele Gedanken darüber, was uns erwartet. Wenn wir erst mal aus diesem Nest raus sind und die große Straße erreicht haben, können wir wie rechtschaffene Männer weiterwandern.«
Als der rotbärtige Irbissohn in seiner zerlumpten Kleidung von ihnen als rechtschaffenen Männern sprach, hätte das zu jeder anderen Zeit ein Grinsen auf Luks Lippen gezaubert. Aber nicht jetzt. Vor allem, da er selbst kaum besser aussah. Die reinste Vogelscheuche. Die Leute erschrecken – das würde er. Die Stadtwache würde sie beide für Bettler halten. Oder für Räuber.
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