Wind Die Chroniken von Hara 1
also entweder mit Samthandschuhen an – oder man brachte sie um, um sich ihren Funken einzuverleiben.
Thia zog die Haarnadeln heraus, worauf ihr die beiden Zöpfe über den Rücken fielen, warf die wertvollen Nadeln wutentbrannt in die Ecke und schlüpfte hastig in den Rock. Sicher, sie könnte die Unbekannte auch von diesem Zimmer aus angreifen, aber das wäre letztlich, als würde sie einen Pfeil abschießen, ohne zu zielen. Dabei bestand die Gefahr, die Frau zu verfehlen oder zu töten. Und Letzteres wollte Thia um jeden Preis vermeiden, da sie diese Närrin lebend brauchte. Um sie nach allen Regeln der Kunst zu verhören. Sie vor allem nach ihrer Lehrerin zu fragen – denn eine Lehrerin musste sie gehabt haben. Ohne entsprechende Unterweisung und Übung vermochte nämlich niemand einen Hilss zu handhaben, verband der Stab eines Nekromanten sich doch mit der Seele seines Trägers. Wie hatte sie das geschafft? All das würde Thia jedoch aus dieser Frau herausbringen – und sich deren Kraft im Anschluss daran aneignen.
Oder stand ihr doch keine einfache Bäuerin, keine Autodidaktin, sondern eine Schreitende aus dem Rat gegenüber?
Nein. Das war dumm. Sein Oberhaupt, die Mutter, würde keine ihrer Töchter für ein derart selbstmörderisches Tun hergeben. Außerdem: Sollte sie wirklich eine Schreitende sein, dann hätte sie niemals in dieser Weise ihre Tarnung aufgegeben. Trotzdem dürfte es ratsam sein, Vorsicht walten zu lassen. Blindlings würde sie sich nicht in die Höhle des Löwen begeben.
Die Verdammte Typhus schnalzte mit den Fingern, worauf es im Zimmer sofort dunkel wurde. Die Schatten verdichteten sich zu einem schwarzen Raben. Krächzend durchschlug er die Scheibe und flog hinaus.
Daraufhin streifte sich Thia fluchend wie ein waschechter Schuster das Hemd über und verließ das Zimmer.
Obwohl ich nicht zum ersten Mal miterlebt hatte, wie Lahen ihre Gabe einsetzte, hätte selbst ich mir nicht träumen lassen, dass sie zu
dergleichen
fähig war.
Das Hausdach stieg heulend und berstend zum Himmel auf. Die massiven Kiefernbalken, aus denen die Wände bestanden, flogen wie trockene Späne in alle Richtungen davon. Der Staub biss uns in den Augen, und wir rangen nach Atem. Obendrein befürchtete ich, die Untoten könnten diese Gelegenheit nutzen, auch noch uns in Kleinholz zu verwandeln. Diese Sorge erwies sich jedoch als unbegründet. Niemand griff uns an. Gnuzz schimpfte derart unflätig, dass ihm Meloth, hätte er dieses Gezeter gehört, ein für alle Mal den Zutritt zu den Glücklichen Gärten verweigert hätte. Bamuth setzte alles daran, seinen Gefährten in der hohen Kunst des Fluchens noch zu überbieten, erlitt aber bald einen Hustenanfall und verstummte.
Da setzte sich der Staub allerdings bereits am Boden ab. Ich eilte zu Lahen, um sie gegen etwaige Gefahren abzuschirmen. Meine ehemaligen Kollegen achteten dagegen darauf, einen gebührenden Abstand zu ihr zu halten. Diese Kindsköpfe! Begriffen sie denn wirklich nicht, dass wir ohne ihre magische Unterstützung keine hundert Yard weit kommen würden?!
Obwohl alles ruhig blieb, nahm ich den Pfeil nicht von der Sehne. Uns könnte schließlich noch sonst was anspringen, da wollte ich gewappnet sein. Andernfalls würde ich womöglich meine Hand einbüßen, bevor ich den Pfeil auch nur eingelegt hatte. Auch Lahen war auf alles gefasst. Unverändert richtete sie den Stab auf die Stelle, wo es bis vor Kurzem noch eine Tür gegeben hatte. Offen gestanden, beunruhigte mich das Spielzeug dieses Nekromanten ungemein. Wie auch nicht – bei einem Schädel, der seine Unzufriedenheit über den Wechsel des Besitzers ungehemmt herausfaucht.
Als Lahen meinen besorgten Blick auffing, beruhigte sie mich sogleich:
»Ich kann damit umgehen.«
»Sei trotzdem vorsichtig
«,
erwiderte ich.
»Würd mich nicht wundern, wenn das Ding bissig ist.«
»Oh, das ist noch die harmloseste seiner Fähigkeiten«,
beteuerte sie grinsend.
»Dann würdest du mir einen großen Gefallen tun, wenn du ihn keine Sekunde aus den Augen lässt. Und wirf ihn weg, sobald er bockt.«
Danach wandte ich mich an Knuth: »Deine Männer sollen sich zum Aufbruch bereit machen!«
Daraufhin ging ich in den Hof und nahm voller Freude zur Kenntnis, dass der Zauber die Untoten zerfetzt hatte. Letzten Endes waren sie nicht viel solider gewesen als unser Haus. Der einzige Diener des Nekromanten, der sich noch halbwegs in einem Stück befand, war der, den Knuth mit der Bank erschlagen hatte. Und
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