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Wind (German Edition)

Wind (German Edition)

Titel: Wind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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verstummte sie wieder.
    »Bis zum Abend bricht ein voller Wüstensturm los«, sagte Young Bill. »Wartet nur ab, ich habe bestimmt recht.«
    »Mir gefällt’s, wenn der Wind heult«, sagte ich. »Dabei muss ich an eine Geschichte denken, die meine Mutter mir immer vorgelesen hat, als ich noch klein war. ›Der Wind durchs Schlüsselloch‹, so heißt sie. Kennst du die?«
    Young Bill schüttelte den Kopf. »Mister, seid Ihr wirklich ein Revolvermann? Gewisslich wahr?«
    »Ja, das bin ich.«
    »Darf ich denn mal einen Eurer Revolver in die Hand nehmen?«
    »Nie im Leben«, sagte ich. »Aber du kannst dir eine hiervon ansehen, wenn du willst.« Ich drückte eine Patrone aus meinem Gürtel und gab sie ihm.
    Er untersuchte sie vom Patronenboden aus Messing bis zu der bleiernen Spitze. »Götter, ist die schwer! Und auch lang! Wenn Ihr jemand damit trefft, bleibt er liegen, möcht ich wetten.«
    »Ja. Eine Patrone ist ein gefährliches Ding. Aber sie kann auch hübsch sein. Möchtest du einen Trick sehen, den ich damit anstellen kann?«
    »Klar.«
    Ich nahm sie wieder an mich und ließ sie von Knöchel zu Knöchel tanzen, wobei meine Finger ständig in Wellen aufstiegen und wieder sanken. Young Bill beobachtete das Spiel fasziniert. »Wie habt Ihr das gelernt?«
    »Wie jeder, der irgendwas kann«, sagte ich. »Übung.«
    »Verratet Ihr mir den Trick?«
    »Wenn du genau hinsiehst, kommst du vielleicht selbst drauf«, sagte ich. »Hier ist sie … und hier ist sie nicht.« Ich ließ die Patrone auf Taschenspielerart verschwinden und dachte dabei an Susan Delgado, wie ich es wohl jedes Mal tun würde, wenn ich diesen Trick vorführte. »Und hier ist sie wieder.«
    Die Patrone tanzte schnell … dann langsam … dann wieder schnell.
    »Lass sie nicht aus den Augen, Bill, dann siehst du vielleicht, wie ich sie verschwinden lasse. Nicht aus den Augen lassen!« Ich senkte die Stimme zu einem einlullenden Murmeln. »Sieh hin … und sieh hin … und sieh hin. Macht dich das schläfrig?«
    »Ein bisschen«, sagte er. Die Augen fielen ihm lang sam zu, dann riss er sie wieder auf. »Ich hab letzte Nacht nicht viel geschlafen.«
    »Wirklich? Sieh nur, wie sie verschwindet. Sieh, wie sie verschwindet und dann … Sieh nur, wie sie wieder schneller wird.«
    Die Patrone wanderte hin und her. Der Wind blies und wirkte auf mich ebenso einlullend wie meine Stimme auf Bill.
    »Schlaf, wenn du willst, Billy. Hör auf den Wind, und schlaf. Aber hör auch auf meine Stimme.«
    »Ich höre Euch, Revolvermann.« Dem Jungen fielen die Augen wieder zu und blieben diesmal geschlossen. Die gefalteten Hände lagen schlaff in seinem Schoß. »Ich höre Euch sehr wohl.«
    »Du kannst die Patrone noch sehen, ja? Sogar mit geschlossenen Augen.«
    »Ja … aber sie ist jetzt größer. Sie glänzt wie Gold.«
    »Sagst du das?«
    »Aye …«
    »Lass dich tiefer sinken, Billy, aber hör meine Stimme.«
    »Ich höre.«
    »Ich möchte, dass du dich an letzte Nacht erinnerst. Mit deinem Verstand und deinen Augen und deinen Ohren. Tust du das für mich?«
    Er runzelte die Stirn. »Ich will nicht.«
    »Es ist aber ungefährlich. Alles ist schon passiert, und außerdem bin ich bei dir.«
    »Ihr seid bei mir. Und Ihr habt Revolver.«
    »Ja, die habe ich. Solange du meine Stimme hörst, kann dir nichts passieren, weil wir zusammen sind. Ich beschütze dich. Verstehst du das?«
    »Aye.«
    »Dein Da’ wollte, dass du unter den Sternen schläfst, ja?«
    »Aye. Weil es nachts heiß sein würde.«
    »Aber das war nicht der wahre Grund, hab ich recht?«
    »Nein. Ich sollte das wegen Elrod tun. Einmal hat er unsere Katze am Schwanz rumgewirbelt, und sie ist nie wieder zurückgekommen. Manchmal zerrt er mich an den Haaren durch die Gegend und singt dabei ›The Boy Who Loved Jenny‹. Mein Da’ kann ihn nicht daran hindern, weil Elrod größer ist. Außerdem hat er ein Messer im Stiefel. Damit würd er zustechen. Aber gegen das Ungeheuer hat er damit auch nichts ausrichten können.« Seine gefalteten Hände zuckten. »Elrod ist tot, und ich bin froh darüber. Alle anderen tun mir leid … Und mein Da’, ich weiß nicht, was ich ohne meinen Da’ tun soll … Aber wegen Elrod bin ich froh. Jetzt kann er mich nicht mehr piesacken. Und er kann mich nicht mehr erschrecken. Ich hab’s gesehen, aye.«
    Er wusste also tatsächlich mehr, als sein Bewusstsein an Erinnerung zugelassen hatte.
    »Jetzt bist du draußen auf der Weide.«
    »Auf der Weide.«
    »In deine Decke und

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