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Wind (German Edition)

Wind (German Edition)

Titel: Wind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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wüsstest …
    Wie weit war er schon geritten? Wie weit musste er noch reiten? Wie weit würde er reiten, bevor er dieses verrückte Vorhaben aufgab? Er war der einzige Trost, den seine Mutter auf dieser Welt noch hatte – also: wie weit?
    Ihm kam es so vor, als wäre er zehn oder mehr Räder weit geritten, seit er den zarten Duft der Blossies hinter sich gelassen hatte, aber das stimmte natürlich nicht. Das wusste er so gut, wie er sich darüber im Klaren war, dass das Rauschen, das er hörte, vom Vollerde-Wind in den Baumwipfeln stammte, nicht von irgendeiner namenlosen Bestie, die hinter ihnen herschlich und ab und zu das Maul aufriss, weil sie sich schon auf einen kleinen Abendimbiss freute. Das alles wusste er sehr wohl, aber wieso waren diese Windgeräusche Atemzügen so ähnlich?
    Ich zähle bis hundert, dann lasse ich Bitsy umkehren, nahm er sich vor, aber als er die Zahl Hundert erreichte und in pechschwarzer Finsternis weiter mit seinem tapferen kleinen Mollie-Muli allein war ( abgesehen von irgendeiner Bestie, die hinter uns herschleicht, musste sein verräterischer Verstand unbedingt hinzufügen), beschloss er, bis zweihundert weiterzureiten. Aber als er bei 187 anlangte, hörte er einen Zweig knacken. Er warf sich herum, zündete das Gaslicht an und hielt die Lampe hoch. Die grimmigen Schatten schienen sich erst aufzubäumen und dann nach vorn zu springen, um ihn zu packen. Und wich irgendetwas aus dem Lichtschein zurück? Sah er ein rotes Auge glitzern?
    Sicher nicht, aber …
    Tim atmete tief durch, drehte das Gas ab und schnalzte mit der Zunge. Das musste er zweimal tun. Bitsy, bisher die Ruhe selbst, schien nicht weitergehen zu wollen. Aber weil sie brav und gehorsam war, befolgte sie seinen Befehl und setzte sich in Bewegung. Tim zählte weiter und brauchte natürlich nicht lange, bis er zweihundert erreicht hatte.
    Ich zähle rückwärts bis null, und wenn ich bis dahin keine Spur von ihm sehe, kehre ich wirklich um.
    Mit dieser Zählweise war Tim bei neunzehn angelangt, als er links voraus ein orangerotes Flackern entdeckte. Das war ein Lagerfeuer, und er war keinen Augenblick im Zweifel, wer es angezündet haben mochte.
    Das Ungeheuer, das mich verfolgt, war niemals hinter mir, dachte er. Es ist dort vorn. Dieses Flackern mag ein Lagerfeuer sein, aber es ist auch das Auge, das ich gesehen habe. Das rote Auge. Ich sollte umkehren, solange noch Zeit ist.
    Dann berührte er den Glücksbringer auf seiner Brust und ritt weiter.

Tim zündete sein Gaslicht an und hielt es hoch. Hier gab es viele Abzweige genannte kurze Wege, die von beiden Seiten des Eisenholzpfads wegführten. Einige Schritte weiter bezeichnete eine an eine bescheidene Birke genagelte Tafel eine davon. In schwarzer Blockschrift stand darauf COSINGTON/MARCHLY . Tim kannte beide Männer. Peter Cosington (der dieses Jahr ebenfalls einen Unfall gehabt hatte) und Ernest Marchly waren Holzfäller, die oft zum Abendessen bei der Familie Ross gewesen waren, und sie hatten ihrerseits manchmal bei Cosington oder Marchly gegessen.
    »Gute Leute, aber sie wagen sich nicht allzu tief hinein«, hatte Big Ross seinem Sohn nach einer dieser Einladungen anvertraut. »Auch in der Nähe der Blossies steht noch viel gutes Eisenholz, aber die beste Qualität – das dichteste, am feinsten gemaserte Holz – wächst tief im Wald, wo der Pfad am Rand des Fagonards endet.«
    Also bin ich vielleicht tatsächlich nur ein bis zwei Räder weit geritten, nur dass nachts alles anders aussieht.
    Er ließ Bitsy den Cosington/Marchly-Abzweig folgen und erreichte kaum eine Minute später eine Lichtung. Dort saß der Zöllner auf einem Baumstamm an einem fröhlich brennenden Lagerfeuer. »Ah, da kommt der junge Tim«, sagte er. »Du hast Mumm, muss ich sagen, auch wenn du dich erst in zwei, drei Jahren wirst rasieren müssen. Komm, setz dich her zu mir, iss einen Teller Eintopf.«
    Tim wusste nicht recht, ob er an dem Abendessen dieses seltsamen Kerls teilhaben wollte, aber er hatte heute Abend keines bekommen, und aus dem Kessel über dem Feuer duftete es sehr appetitlich.
    »Keine Angst, ich vergifte dich nicht, junger Tim«, sagte der Zöllner, der die Gedanken seines jugendlichen Gasts beunruhigend genau las.
    »Oh, gewiss nicht«, sagte Tim … aber da nun einmal Gift erwähnt worden war, war er sich seiner Sache keineswegs mehr so sicher. Trotzdem ließ er den Zöllner einen Zinnteller mit einer tüchtigen Portion füllen und nahm den angebotenen Zinnlöffel,

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