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Winesburg, Ohio (German Edition)

Winesburg, Ohio (German Edition)

Titel: Winesburg, Ohio (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherwood Anderson
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war ein sinnlicher Mensch, und er stand bereits in seinem fünfundvierzigsten Lebensjahr. Er bildete sich ein, dass der Likör die Jugend in ihm erneuerte. Wie die meisten sinnlichen Menschen redete er gern über Frauen, und eine Stunde lang verweilte er schwatzend bei Tom Willy.
Der Saloonbesitzer war ein kleiner, breitschultriger Mann mit eigenartig gefleckten Händen. Ein flammendes Muttermal, wie es Männern und Frauen zuweilen das Gesicht rot färbt, hatte Tom Willys Finger und Handrücken rot getönt. Wie er so an der Bar stand und sich mit Will Henderson unterhielt, rieb er die Hände aneinander. Je erregter er wurde, desto tiefer wurde das Rot an seinen Fingern. Es war, als wären die Hände in Blut getaucht worden und es wäre getrocknet und verblasst.
    Während Will Henderson an der Bar stand, auf die roten Hände blickte und über Frauen redete, saß sein Assistent, George Willard, in der Redaktion des «Winesburg Eagle» und lauschte den Ausführungen Doktor Parcivals.
    Doktor Parcival erschien unmittelbar nachdem Will Henderson verschwunden war. Man hätte meinen können, der Doktor habe aus seinem Praxisfenster geschaut und den Herausgeber durch die Seitengasse gehen sehen. Er kam zur Vordertür herein, nahm sich einen Stuhl, zündete sich eine seiner Stogies an, schlug die Beine übereinander und begann zu reden. Er schien den Jungen unbedingt überzeugen zu wollen, dass es ratsam sei, eine Verhaltensweise anzunehmen, die er selbst nicht zu definieren vermochte.
    «Wenn du die Augen aufmachst, wirst du erkennen, dass ich mich zwar Doktor nenne, aber mächtig wenige Patienten habe», begann er. «Das hat seinen Grund. Es ist kein Zufall, und es liegt auch nicht daran, dass ich nicht genauso viel von Medizin verstehe wie jeder andere hier. Ich will nur keine Patienten. Der Grund,
verstehst du, liegt nicht auf der Hand. Er ist vielmehr in meinem Wesen begründet, das, wenn man es einmal recht bedenkt, viele merkwürdige Windungen hat. Warum ich mit dir darüber sprechen möchte, weiß ich nicht. Ich könnte ja auch still sein und so in deinen Augen mehr Anerkennung finden. Ich habe das Verlangen, von dir bewundert zu werden, das ist nun mal so. Warum, weiß ich nicht. Nur deshalb rede ich. Das ist doch sehr amüsant, wie?»
    Manchmal erging sich der Doktor in langen Geschichten über sich selbst. Für den Jungen waren die Geschichten sehr real und bedeutsam. Nach und nach bewunderte er den dicken, schmuddeligen Mann, und am Nachmittag, wenn Will Henderson gegangen war, sah er mit lebhaftem Interesse dem Besuch des Doktors entgegen.
    Doktor Parcival war seit fünf Jahren in Winesburg. Er kam aus Chicago, und schon bei der Ankunft war er betrunken gewesen und in eine Prügelei mit Albert Longworth, dem Gepäckträger, geraten. Der Streit betraf einen Koffer und endete damit, dass der Doktor ins Ortsgefängnis geleitet wurde. Nach seiner Freilassung mietete er sich ein Zimmer über einer Schusterwerkstatt am unteren Ende der Main Street und brachte ein Schild an, das ihn als Arzt auswies. Obwohl er nur wenige Patienten hatte und die auch von der ärmeren Sorte waren, die nicht bezahlen konnten, schien er doch reichlich Geld für seine Bedürfnisse zu haben. Er schlief in der Praxis, die unsagbar schmutzig war, und speiste in Bill Carters Imbissstube in einem kleinen Holzhaus gegenüber dem Bahnhof. Im Sommer war die Imbissstube
voller Fliegen, und Bill Carters weiße Schürze war noch schmutziger als der Fußboden. Doktor Parcival störte das nicht. Er kam in die Imbissstube marschiert und legte zwanzig Cent auf den Tresen. «Gib mir dafür zu essen, was du magst», sagte er lachend. «Nimm das Essen, das du sonst nicht verkaufen könntest. Es ist mir gleich. Ich bin nämlich ein bedeutender Mann. Warum sollte es mich kümmern, was ich esse?»
    Die Geschichten, die Doktor Parcival George Willard erzählte, begannen und endeten im Nirgendwo. Manchmal dachte der Junge, sie müssten allesamt erfunden, ein Haufen Lügen sein. Dann wiederum war er überzeugt, dass sie die reine Essenz der Wahrheit waren.
    «Ich war Reporter wie du hier», begann Doktor Parcival.«Es war in einer Stadt in Iowa – oder war es in Illinois? Ich erinnere mich nicht mehr, und überhaupt spielt es keine Rolle. Vielleicht versuche ich auch nur, meine Identität zu verbergen, und bin deshalb nicht sehr präzise. Hast du es noch nie merkwürdig gefunden, dass ich Geld für meine Bedürfnisse habe, obwohl ich nichts tue? Ich könnte ja,

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