Winter auf Italienisch
Ich war verzweifelt, hatte nicht die leiseste
Ahnung, wie es weitergehen sollte. Mattia hatte ich vertrieben, Holger
verschmäht. Das Einzige, was mir blieb, war die Festanstellung in der
Zollabfertigungsabteilung einer Spedition. Vorausgesetzt, ich würde die
Prüfungen bestehen. In diese würde ich vorerst meine gesamte Energie stecken.
Alles andere würde sich finden. Oder eben nicht.
Drei Tage vor den Prüfungen war ich zwar
perfekt darauf vorbereitet, fühlte mich aber innerlich so zerrissen, dass nur
noch eine mir helfen konnte: Mafalda! Ungeachtet der Telefongebühren rief ich
sie abends an.
»Pronto?«, erklang ihre Stimme aus dem
Handy.
»Ciao, Mafi! Sono io, ich bin‘s«, sagte
ich kleinlaut.
»Oh, Süße! Was ist denn los?«, fragte sie
ohne Umschweife, weil eine Freundin, wie sie eine war, eben ohne Worte spürte,
wenn es einem schlecht ging.
»Ich habe alles falsch gemacht«,
schluchzte ich. »Ich habe Mattia frei gelassen, weil ich glaubte, dass es uns
dann besser ginge. Ich bin auch wieder ausgegangen. Und ich habe mir einen
Freund gesucht. Einen, der hier ist. Einen, der real ist.« Ich heulte noch
lauter.
»Ma Tanina!«, unterbrach mich Mafalda.
»Mattia ist real. Er ist nur nicht bei dir. Er ist ein Mann aus Fleisch und
Blut und ich weiß, dass er dich über alles liebt und genauso unter der
Situation leidet wie du.«
»Jetzt nicht mehr«, sagte ich resigniert.
»Ich habe ihn betrogen. Nicht wirklich, denn ich hatte mich ja vorher getrennt.
Aber es hat nicht geholfen. Ich vermisse ihn nur noch mehr jetzt.« Ich machte
eine Pause. »Und ich schäme mich so sehr.«
»Das war nicht richtig, da gebe ich dir
recht. Aber es war menschlich. Ich kann deine Beweggründe nachvollziehen«,
versuchte Mafalda, mir gut zuzureden.
»Ich kann es nicht mal wieder gut
machen«, sagte ich matt. »Denn leider ist mir noch immer keine Lösung
eingefallen. In zwei Tagen habe ich Prüfungen. Und ich kann mich nicht mal
darauf konzentrieren. Eigentlich ist mir mittlerweile alles egal. Hätte ich
Mattia nur nie kennengelernt. Dann wäre alles noch so, wie es war: ganz normal
nämlich.«
»Ich werde mit Mattia reden«, versprach
Mafalda. „Und wenn du erlaubst, auch mit meinen Eltern.
»Was haben deine Eltern damit zu tun?
Wenn sie erfahren, was ich getan habe, werde ich ihnen nie mehr in die Augen
sehen können.«
»Was für ein Quatsch!«
Ich konnte förmlich sehen, wie Mafi den
Kopf schüttelte. »Ich gebe zu, sie sind manchmal ein bisschen altmodisch, aber
sie sind auch freundlich, mitfühlend und hilfsbereit.«
Dem konnte ich nicht widersprechen. Es
waren wirklich besondere Eltern. Mit meiner Mutter besprach ich seit Jahren
keine privaten Dinge mehr. Es artete immer nur in ewig lange Diskussionen aus.
Verstehen tat sie mich sowieso nicht. Wir teilten eine Wohnung, lebten aber
längst in verschiedenen Welten.
»Versprich mir nur eins«, sagte Mafalda
abschließend. »Du wirst die nächsten zwei Tage an nichts anderes denken als an
deine Abschlussprüfung, d‘ accordo? Einverstanden? Um alles andere kümmere ich
mich.«
Ich versprach es. Auch wenn ich nicht
recht wusste, wie und wozu.
Wie auch immer Mafalda das angestellt
hatte - nach unserem Telefonat fühlte ich mich etwas besser. Ich kochte mir
einen heißen Kakao und sprühte eine Extraportion Sahne oben drauf. Dann setzte
ich mich - in eine Wolldecke gewickelt - an meinen Schreibtisch und ging noch
einmal die wichtigsten Punkte durch.
Am späten Nachmittag rief ich Holger an.
Ich entschuldigte mich für meinen Zustand am gestrigen Abend und für mein
Verhalten. Ich bat ihn, noch kurz runterzukommen, wenn ich gleich mein Auto
abholte.
Der Fußweg tat mir gut. Schon von weitem
sah ich Holger an meinem Golf lehnen.
»Danke, dass du gekommen bist«, sagte
ich.
»Kein Problem.«
»Ich möchte mich noch einmal
entschuldigen. Ich möchte, dass du weißt, dass du nichts falsch gemacht hast.
Du bist ein toller Typ, du hast ein Mädchen verdient, das dich liebt.«
»Warum sagst du das?«
Er schien mich nicht zu verstehen.
Also erzählte ich ihm die ganze Misere:
meine Versuche, Mattia zu vergessen, indem ich einfach einen Vertrag
unterschrieb und mir einen neuen Freund suchte.
Holger lächelte, als ich geendet hatte.
»So ist das also gewesen«, sagte er. »Für
mich ist es trotzdem ein sehr schöner Tag gewesen, mit einem besonders schönen
Abschluss. Ich werde ihn in guter Erinnerung halten.« Er legte die Hand
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