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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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in den überwiegend jüdischen Stadtteil Stepney hinein.
    Es sei denn, Lloyd und andere, die so dachten wie er, konnten sie aufhalten.
    Den Zeitungen zufolge gab es in Großbritannien rund dreihundertdreißigtausend Juden, die Hälfte davon im Eastend. Die meisten waren Flüchtlinge aus Russland, Polen und dem Deutschen Reich, wo sie in ständiger Angst gelebt hatten, Polizei, Militär oder Kosaken könnten in die Stadt einrücken, die Familie ausrauben, alte Männer verprügeln und junge Frauen schänden, während Vater und Brüder an Mauern aufgereiht und erschossen wurden.
    Hier in den Londoner Slums hatten die Juden einen Ort gefunden, an dem sie das gleiche Recht zu leben hatten wie jeder andere. Wie würden sie sich fühlen, wenn sie aus ihren Fenstern schauten und eine Bande uniformierter Schläger erblickten, die geschworen hatten, sie alle zu vernichten? Lloyd war entschlossen, dafür zu sorgen, dass es nicht so weit kam.
    Der Worker stellte fest, dass die Faschisten vom Tower aus nur zwei Routen nehmen konnten. Die eine führte über Gardiner’s Corner, das Tor zum Eastend, wo fünf Straßen zusammentrafen.Die andere Strecke verlief über die Royal Mint Street und die schmale Cable Street entlang. Eine Einzelperson konnte noch ein Dutzend andere Wege nehmen, eine Marschkolonne nicht. Die St. George Street führte ins katholische Wapping, nicht ins jüdische Stepney, und war für die Faschisten deshalb uninteressant.
    Der Worker rief dazu auf, einen menschlichen Schutzwall zu bilden und Gardiner’s Corner sowie die Cable Street abzuriegeln, um die Faschisten aufzuhalten.
    Doch das Blatt forderte seine Leser oft zu Taten auf – Streiks, Protestaktionen, kürzlich sogar zum Zusammenschluss aller linken Parteien zu einer Volksfront –, die dann doch unterblieben. Der menschliche Schutzwall war vielleicht auch nur ein Hirngespinst. Um das Eastend wirksam abzuriegeln, brauchte es Tausende von Menschen. Niemand konnte sagen, ob so viele kommen würden.
    Nur eines stand fest: Es würde Schwierigkeiten geben.
    Bei Lloyd am Tisch saßen seine Eltern, seine Schwester Millie und der sechzehnjährige Lenny Griffiths aus Aberowen in seinem Sonntagsanzug. Lenny gehörte einer kleinen Armee walisischer Bergleute an, die zur Gegenkundgebung nach London gekommen waren.
    Bernie sah von seiner Zeitung auf. »Die Faschisten behaupten, für euch Waliser wären die Bahnfahrten nach London allesamt von den ›großen Juden‹ bezahlt worden.«
    Lenny schluckte sein Rührei herunter. »Ich kenne keine großen Juden«, erwiderte er. »Außer vielleicht Mrs. Levy Sweetshop, die ist ein ziemlicher Brocken. Und ich bin nicht mit dem Zug nach London gekommen, sondern auf der Ladefläche eines Lasters, zusammen mit sechzig walisischen Lämmern für den Fleischmarkt von Smithfield.«
    »Ach, davon kommt der Geruch«, sagte Millie.
    »Sei nicht so unhöflich, Millie!«, schalt Ethel sie.
    Lenny schlief in Lloyds Zimmer und hatte ihm anvertraut, dass er nach Abschluss der Kundgebung nicht nach Aberowen zurückkehren werde. Stattdessen wollten er und Dave Williams nach Spanien und sich den Internationalen Brigaden anschließen, um den faschistischen Aufstand niederzukämpfen.
    »Hast du einen Pass bekommen?«, hatte Lloyd gefragt. An einen Pass zu gelangen war nicht schwierig; allerdings brauchteein Antragsteller einen Geistlichen, einen Arzt, einen Anwalt oder jemanden anderen in gehobener Stellung als Bürgen. Ein junger Mann konnte seinen Antrag daher kaum geheim halten.
    »Nicht nötig«, sagte Lenny. »Wir gehen zur Victoria Station und holen uns eine Wochenend-Rückfahrkarte nach Paris. Das geht auch ohne Pass.«
    Lloyd hatte davon gehört. Diese Regelung war ein Schlupfloch, das der Bequemlichkeit der wohlhabenden Mittelschicht diente. Jetzt machten die Antifaschisten sie sich zunutze. »Was kostet die Fahrkarte?«
    »Drei Pfund fünfzehn Shilling.«
    Lloyd zog die Brauen hoch. Das war mehr Geld, als ein arbeitsloser Bergmann normalerweise besaß.
    Lenny fügte hinzu: »Aber meine Fahrkarte wird von der Unabhängigen Arbeiterpartei bezahlt, und Daves von der Kommunistischen Partei.«
    Die beiden mussten gelogen haben, was ihr Alter betraf. »Und wie geht es weiter, wenn du nach Paris kommst?«, fragte Lloyd.
    »Am Gare du Nord erwarten uns französische Kommunisten.« Lenny sprach es »Gair djuh Nord« aus, denn er konnte kein Wort Französisch. »Von dort werden wir zur spanischen Grenze gebracht.«
    Lloyd hatte seine eigene

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