Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman
Eingang und stieg die Stufen hinauf. In diesem Moment jagten zwei schwarze Mercedes-Limousinen heran und wurden von der Polizei sofort durch die Absperrung gelassen. Lloyd beobachtete interessiert, was weiter geschah. Aus dem zweiten Wagen sprang ein schnurrbärtiger Mann in hellem Trenchcoat und mit breitem schwarzem Hut. Lloyd erkannte ihn auf Anhieb: Es war Reichskanzler Adolf Hitler.
Hinter Hitler folgte ein größerer Mann in der schwarzen Hose und mit der schwarzen Kappe der SS , sein Leibwächter. Dem SS -Mann wiederum folgte der Gauleiter von Berlin und Propagandachef der NSDAP , der hinkende Judenhasser Joseph Goebbels. Lloyd erkannte ihn aufgrund von Fotos, die er in der Zeitung gesehen hatte. Er war so fasziniert, diese Männer aus der Nähe zu sehen, dass sein Entsetzen in den Hintergrund gedrängt wurde.
Hitler nahm zwei Stufen auf einmal und hielt direkt auf Lloyd zu. Instinktiv öffnete Lloyd dem Reichskanzler die Tür. Hitler nickte ihm knapp zu und verschwand im Gebäude, gefolgt von seiner Entourage.
Ohne zu überlegen, schloss Lloyd sich ihnen an. Niemand sprach ihn an. Offenbar hielten Hitlers Leute ihn für einen Reichstagsangestellten.
Es stank nach nasser Asche. Hitler und sein Gefolge stiegen über verkohlte Balken und Rohre hinweg und wateten durch schwarze Pfützen. In der Eingangshalle stand Hermann Göring, einen Kamelhaarmantel über dem dicken Bauch und den Hut nach neuester Mode schief auf dem Kopf. Das also ist der Mann, der die alten Polizeikräfte durch Nazis ersetzt, dachte Lloyd und erinnerte sich an das Gespräch im Restaurant.
Kaum sah Göring Hitler, rief er: »Das ist der Beginn des Kommunistenaufstands! Jetzt werden sie zuschlagen! Wir dürfen keine Zeit verschwenden!«
Es war eine gespenstische Szenerie. Lloyd kam sich vor wie im Theater. Diese Männer schienen nur Schauspieler zu sein, die ihre Rollen spielten.
Hitler gab sich noch theatralischer als Göring. »Jetzt gibt es keine Gnade mehr!«, tobte er so laut, als würde er vor einem voll besetzten Stadion sprechen. »Wer sich uns in den Weg stellt, wird niedergemacht.« Er zitterte, während er sich immer mehr in Rage redete. »Jeder kommunistische Funktionär wird an Ort und Stelle erschossen. Und die kommunistischen Reichstagsabgeordneten müssen noch heute Nacht aufgeknüpft werden!«
Das Ganze hatte etwas Künstliches, Gestelltes. Hitlers Hass schien echt zu sein, der Wutausbruch aber war nur Show, um die Umstehenden zu beeindrucken – die Feuerwehrmänner, die Reichstagsangestellten und seine eigenen Leute. Hitler war in der Tat ein Schauspieler. Zwar waren seine Emotionen echt, doch er bauschte sie für sein Publikum auf. Und es funktionierte, wie Lloyd beobachten konnte: Alle in Hörweite starrten Hitler fasziniert an.
Göring sagte: »Mein Führer, das hier ist der Chef der Politischen Polizei, Rudolf Diels.« Er deutete auf einen schlanken, dunkelhaarigen Mann an seiner Seite. »Er hat einen der Brandstifter bereits verhaftet.«
Diels war nicht so hysterisch wie die Nazi-Führer. Mit ruhiger Stimme sagte er: »Der Mann heißt Marinus van der Lubbe, ein niederländischer Bauarbeiter.«
»Und Kommunist!«, fügte Göring triumphierend hinzu.
Diels nickte. »Allerdings wurde er als Anarchist aus der Kommunistischen Partei der Niederlande ausgeschlossen.«
»Ich wusste es!«, rief Hitler.
Lloyd erkannte, dass der Reichskanzler ungeachtet der Tatsachen fest entschlossen war, den Kommunisten die Schuld am Reichstagsbrand zu geben.
Diels erklärte respektvoll: »Nach einem ersten Verhör dieses Mannes haben wir den Eindruck gewonnen, dass wir es mit einem verrückten Einzeltäter zu tun haben.«
»Unsinn!«, wütete Hitler. »Das war von langer Hand geplant.Aber sie haben sich verrechnet! Sie verstehen einfach nicht, dass das Volk auf unserer Seite steht.«
Göring wandte sich Diels zu. »Die Polizei ist in Alarmbereitschaft versetzt«, sagte er. »Wir haben Listen von Kommunisten: Reichstagsabgeordnete, Stadträte, Parteifunktionäre und Aktivisten. Verhaften Sie diese Leute. Alle! Noch heute Nacht! Waffen sind rücksichtslos einzusetzen. Und die Verhöre werden ohne Gnade geführt!«
»Jawohl, Herr Minister«, sagte Diels.
Lloyd erkannte, dass Walter mit seiner Sorge recht gehabt hatte. Das hier war der Vorwand, auf den die Nazis gewartet hatten. Sie würden sich vehement gegen die Behauptung wehren, das Feuer sei von einem verrückten Einzeltäter gelegt worden. Stattdessen wollten sie eine
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