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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Politischen Abteilungen aus dem Polizeiverbund herauszulösen und eine neue, effizientere Geheimpolizei daraus zu formen. Macke hielt das für eine gute Idee.
    In den normalen Akten fand er nichts über Robert von Ulrich. Aber vielleicht war das ja nicht nur auf das miserable Archiv zurückzuführen. Vielleicht hatte der Mann tatsächlich eine weiße Weste. Als österreichischer Graf war er mit hoher Wahrscheinlichkeit weder Kommunist noch Jude. Offenbar war das Schlimmste, was man über ihn sagen konnte, dass sein Cousin Walter Sozialdemokrat war. Und das war kein Verbrechen … noch nicht.
    Macke musste einsehen, dass er seine Nachforschungen schon hätte anstellen sollen, ehe er zu dem arroganten Mistkerl gegangen war. Stattdessen war er losgezogen, ohne gänzlich im Bilde zu sein. Er hätte wissen müssen, dass das ein Fehler war – ein Fehler, der ihm den Spott des Mannes eingebracht hatte. Macke hatte sich gedemütigt gefühlt. Aber er würde es dem Kerl schon heimzahlen.
    Im hinteren Teil des Raumes ging Macke Papiere durch, die in einem verstaubten Schrank aufbewahrt wurden.
    Der Name von Ulrich tauchte auch hier nicht auf, aber eine Akte fehlte: Einer Liste in der Schranktür zufolge hätte es hier einen Ordner mit einhundertsiebzehn Seiten zum Thema »Sittenlose Lokalitäten« geben müssen. Das klang nach einem Bericht über die Berliner Nachtclubs. Macke konnte sich denken, warum die Akte fehlte. Sie musste vor Kurzem benutzt worden sein. Nach Hitlers Machtübernahme waren die dekadentesten Läden sofort geschlossen worden.
    Macke ging wieder nach oben zu Kringelein. Der erklärte mehreren Schutzpolizisten soeben die neue Liste der Kommunisten und ihrer Verbündeten, die Macke vorhin erstellt hatte.
    Macke zögerte nicht, seinen Chef zu unterbrechen. Kringelein war kein Nazi; deshalb würde er einen SA -Mann nicht tadeln. »Ich suche nach der Akte mit den sittenlosen Lokalitäten«, sagte Macke.
    Kringelein schaute verärgert drein, protestierte aber nicht. »Auf dem Tisch da«, sagte er. »Bedienen Sie sich.«
    Macke nahm die Unterlagen und kehrte in sein Büro zurück.
    Die Akte war gut fünf Jahre alt. Sie enthielt Einzelheiten zu allen Clubs und den Vergnügungen, die dort angeboten wurden: Glücksspiel, sittenlose Darbietungen, Prostitution, Drogenhandel, Homosexualität und andere Abartigkeiten. Die Akte nannte auch die Besitzer und Investoren, Clubmitglieder und Angestellten. Geduldig las Macke jeden Eintrag durch. Vielleicht war Robert von Ulrich ja drogensüchtig oder ging regelmäßig zu Huren.
    Aber da gab es noch etwas. Berlin war für seine Schwulenclubs berühmt. Macke las jeden Eintrag zu diesen Etablissements, wo Männer mit Männern tanzten und auf der Bühne Transvestiten sangen. Manchmal, dachte er, ist meine Arbeit einfach widerlich.
    Macke fuhr mit dem Finger über die Mitgliederliste und entdeckte Robert von Ulrich.
    Er grinste voller Genugtuung.
    Er schaute weiter unten nach und sah den Namen Jörg Schleicher.
    »Sieh mal einer an«, sagte er. »Dann wollen wir doch mal sehen, ob dir dein Spott nicht im Halse stecken bleibt.«

    Es war Samstag, der 4. März, der Tag vor den Wahlen. Lloyd und Ethel wollten zu einer Wahlkampfveranstaltung der Sozialdemokraten, die Walter organisiert hatte; deshalb waren sie bereits zum Mittagessen zu den von Ulrichs gegangen.
    Das Haus stammte aus dem neunzehnten Jahrhundert. Es hatte große Zimmer und hohe Fenster; allerdings waren viele Möbel schon alt. Das Essen war einfach – Schweinebraten mit Kartoffeln und Kohl –, der Wein aber war erlesen.
    Die Gespräche drehten sich um Politik. Nach dem Reichstagsbrand Ende Februar hatte Hitler den greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg davon überzeugt, die sogenannte »Verordnung zum Schutz von Volk und Staat« zu unterzeichnen, die den Nazis offiziell das Recht einräumte, ihr Terrorregime zu entfalten und politische Gegner zu verfolgen.
    »Zwanzigtausend Menschen wurden seit Montagnacht verhaftet«, sagte Walter mit zittriger Stimme. »Und nicht nur Kommunisten. Auch ›kommunistische Sympathisanten‹, wie die Nazis sie nennen.«
    »So nennen sie jeden, der ihnen nicht gefällt«, warf Maud ein.
    »Wie soll es denn jetzt noch demokratische Wahlen geben?«, fragte Ethel.
    »Wir dürfen nicht aufgeben«, erklärte Walter. »Wenn wir keinen Wahlkampf machen, helfen wir nur den Nazis.«
    »Sie sollten sich wehren!«, sagte Lloyd hitzig. »Wann schlagen Sie endlich zurück? Glauben Sie immer

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