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Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman

Titel: Winter der Welt - Die Jahrhundert-Saga Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Auch seine Eltern flohen in das Feld, offenbar unverletzt. Chuck gesellte sich zu ihnen. Sie rannten zwanzig Yards; dann warfen sie sich flach auf den Boden.
    Einen Augenblick war es still. Die Geräusche der Flugzeuge waren zu einem fernen Brummen geworden. Als Chuck aufblickte, sah er, wie über dem Hafen öliger Qualm Tausende Fuß hoch in die Luft stieg. Über den Rauchwolken entfernten sich die letzten japanischen Bomber in Richtung Norden.
    Dann gab es einen ohrenbetäubenden Knall. Selbst mit geschlossenen Augen sah Chuck den hellen Blitz des explodierenden Benzins. Eine Welle heißer Luft schoss über ihn hinweg.
    Er hob den Kopf und blickte nach hinten. Der Wagen brannte lichterloh.
    Er sprang auf. »Mama! Alles okay?«
    »Wie durch ein Wunder unverletzt«, sagte sie gelassen, während Gus ihr aufhalf.
    Chuck blickte über das Feld hinweg und entdeckte die anderen. Er rannte zu Eddie, der aufrecht saß und sich den Oberschenkel hielt.
    »Bist du getroffen?«
    »Ja, tut höllisch weh. Aber viel Blut ist nicht zu sehen.« Er rang sich ein Grinsen ab. »Hat mich im Schenkel erwischt, glaub ich, aber keine lebenswichtigen Organe.«
    »Wir bringen dich ins Lazarett.«
    In diesem Augenblick hörte Chuck einen entsetzlichen Laut.
    Woody weinte wie ein allein gelassenes Kind. Es war ein Laut, aus dem tiefstes Elend sprach.
    So weinte ein Mensch, dessen Herz gebrochen war.
    Chuck eilte zu seinem Bruder. Woody kniete am Boden. Seine Brust bebte, sein Mund stand offen, und Tränen liefen ihm aus den Augen. Sein weißer Leinenanzug war voller Blut, aber er schien nicht verletzt zu sein. Schluchzend stieß er hervor: »Nein. Oh nein …«
    Vor ihm lag Joanne, das Gesicht nach oben.
    Chuck sah auf den ersten Blick, dass sie tot war. Sie rührte sich nicht, und ihre offen stehenden Augen starrten ins Leere. Ihr fröhlich gestreiftes Baumwollkleid war vorn mit hellrotem arteriellem Blut getränkt, das stellenweise bereits dunkler wurde. Chuck konnte die Wunde nicht sehen, vermutete aber, dass eine Kugel sie in die Schulter getroffen und ihre Achselschlagader verletzt hatte. Sie war in Minutenschnelle verblutet.
    Er wusste nicht, was er sagen sollte.
    Die anderen kamen und stellten sich neben ihn: Mama und Papa, sogar Eddie. Mama kniete sich neben Woody auf den Boden und nahm ihn in die Arme. »Mein armer Junge«, sagte sie, als wäre er ein Kind.
    Eddie legte Chuck den Arm um die Schultern und drückte ihn diskret.
    Gus kniete sich neben die Tote und nahm die Hand seines Sohnes. Woodys Schluchzen verebbte ein wenig.
    »Lass sie nicht mit offenen Augen liegen, Woody«, sagte Gus.
    Woodys Hand bebte, doch unter Aufbietung aller Willenskraft gelang es ihm, das Zittern zu unterdrücken.
    Er legte die Fingerspitzen auf Joannes Lider.
    Dann, mit unendlicher Sanftheit, schloss er ihr die Augen.

K A P I T E L  1 2
    1942 (I)
    Am Neujahrstag 1942 bekam Daisy einen Brief von ihrem ehemaligen Verlobten Charlie Farquharson.
    Als sie ihn öffnete, saß sie allein im Mayfair-Haus am Frühstückstisch. Nur der alte Butler, der ihr Kaffee einschenkte, und das fünfzehnjährige Dienstmädchen, das frischen Toast aus der Küche brachte, waren bei ihr.
    Charlie schrieb nicht etwa aus Buffalo, sondern von RAF Duxford, einem Fliegerhorst in Ostengland. Daisy hatte von dem Stützpunkt schon gehört, denn er lag in der Nähe von Cambridge, wo sie sowohl ihren Gatten kennengelernt hatte als auch den Mann, den sie liebte.
    Daisy freute sich, von ihrem Verflossenen zu hören. Sicher, er hatte sie abserviert, und sie hatte ihn dafür gehasst; aber das war sieben Jahre her. Sie war ein anderer Mensch geworden. Die einstige Miss Peshkov, das junge Mädchen aus reichem Hause, hatte sich zur Viscountess Aberowen gemausert, einer englischen Aristokratin.
    Zugleich erfüllte es Daisy mit Zufriedenheit, dass Charlie noch immer an sie dachte. Jeder Frau ist es lieber, man erinnert sich an sie, als dass man sie vergisst.
    Charlie hatte mit breiter Feder und schwarzer Tinte geschrieben. Seine Handschrift war unsauber, die Buchstaben groß und krakelig.
    Daisy las:
    Vor allem aber muss ich mich dafür entschuldigen, wie ich Dich damals in Buffalo behandelt habe. Jedes Mal, wenn ich daran denke, erfüllt es mich mit Scham.
    Du lieber Himmel, dachte Daisy, er scheint erwachsen geworden zu sein.
    Was waren wir alle für Snobs. Und wie schwach ich war, meiner verstorbenen Mutter zu erlauben, mich durch ihre Tyrannei in einen Mistkerl zu verwandeln.
    Aha,

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