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Winter in Maine

Winter in Maine

Titel: Winter in Maine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerard Donovan
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Landschaft draußen, nur an die Worte auf dem Pla kat musste ich denken, daran, wie weit alles in ein paar Tagen gekommen war, nachdem sich ein Leben lang kaum etwas ereignet hatte. Ich musste an Hobbes denken, mein erstes Wochenende ohne ihn.
    Da es in der Hütte nicht viel zu sehen gab, zog ich die Shake speare- Liste zwischen den Büchern hervor und las die nächste Eintragung. Seltsam, ich wusste noch, wie ich genau diese Wörter notiert hatte, erinnerte mich an den Geruch im Raum und das, was ich sah, als ich sie aufschrieb, an das Gefühl in meiner Hand, als ich die Buchstaben hinkritzelte, an die Kleidung, die ich trug, und daran, wie klein und geschützt die Welt war, an den warmen Ofen, die sanfte Beteuerung meines Vaters, dass Bücher wichtig seien, dass es aber noch wichtiger sei, sie zu lesen. Jetzt, wo die Welt den Bach runtergegangen war und nichts mehr so sein würde wie zuvor, fand ich diese Erinnerung noch wichtiger. Alles stand in den Büchern, all diesen Büchern ringsum, ein ganzes Leben in diesen lebenden Wänden.
    Auf der Liste standen vier Wörter, aber vielleicht hatte ich dafür nicht bloß einen, sondern zwei Tage gebraucht, denn ich hatte verschiedene Tinten benutzt, blau für das erste Wort und schwarz für die anderen drei: entschwemmen für auspres sen, dann eine Lücke und danach die nächsten drei Wörter in Schwarz: Zerstreuung für einen Trupp versprengter Soldaten, enthüllen für entkleiden und geplattert für gestürzt. Es war reiner Zufall, dass die Wörter aus jenem Abschnitt zu diesem Tag zu passen schienen, dass der Morgen entschlossen war, allen verfügbaren Schnee aus dem Himmel zu entschwemmen und den Garten, die Scheune, die Blumenbeete, den Holzstoß und die Veranda rings um die Hüttentür damit zu benetzen, als hätte ich damals für künftige Zeiten geschrieben, statt eine längst tote Sprache zu lernen.
    Claire ging mir nicht aus dem Kopf, überlagerte meine an deren Gedanken, jetzt, wo ich sie am vorigen Tag, ja sogar zwei- oder dreimal gesehen hatte, falls auch meine Gedanken zählten, und ich fragte mich, ob sie inzwischen in Fort Kent wohnte. Seltsam, dass man mit jemandem schlafen kann und schon ein paar Monate, erst recht Jahre später von ihm nichts mehr weiß.
    Was ich auch vorhatte, es lag noch im Nebel, aber ich ließ den Pick-up warm laufen, goss heißen Tee in eine Thermos kanne und folgte mit einem Gedichtband und einer zwischen die Seiten geschobenen Liste, mit dem Gewehr und dem Fernrohraufsatz einer Reifenspur auf der ostwärts verlaufenden Straße, die mich irgendwann in Claires Stadt führen würde, und ich fuhr weiter und bahnte mir einen Weg durch die mit zartem Weiß bedeckte Landschaft, gestaltlos bis auf die aus den Wasserpfützen hervorschauenden Vögel. Ich wusste nicht genau, was der Tag bringen sollte, warum und zu welchem Zweck ich mit einem Gewehr durch die Gegend fuhr, und als ich einen Mann ganz allein mitten im Nirgendwo stehen sah, einen Mann, der die Arme hob, als wollte er eine Flutwelle aufhalten, wusste ich es noch weniger.
    31
    Er stand ungefähr einen Kilometer weiter auf der Straße, ein kleiner Punkt im glänzenden Pulverschnee. Ich beobachtete ihn durch die Scheibe und drosselte das Tempo, und dennoch dauerte es nur ein paar Sekunden, bis ich ihn und das, was er mir zu sagen hatte, erreichte.
    Diese Gegend ist nicht flach, abgesehen von einer Stelle, wo die Asphaltstraße nach Fort Kent ein paar Kilometer lang eben ist, und wenn man dort entlangfährt und jemanden sieht, der zu Fuß unterwegs ist, hat man Zeit, sich auf ein Gespräch einzustellen, falls einem der Sinn danach steht, oder ihm zu zuwinken, wenn man wortlos vorbeifahren will. Alle Fragen sind zweckmäßig und wohlüberlegt und werden gleichermaßen beantwortet.
    Ja, ich war jetzt nicht mehr weit weg, und da stand er tat sächlich. Er schien in meine Richtung zu blicken, während mein Pick-up sich näherte. Ich fuhr langsamer und kurbelte das Fenster mit der linken Hand herunter, fragte mich, was für ein Gespräch mich wohl erwartete, hatte aber nicht genug Zeit, um überlegen zu können, was er hier draußen mitten im Nirgendwo machte.
    Mein Entschluss loszufahren war spontan gefallen, und selbst eine zufällige Unterhaltung konnte das zeigen, konnte offenbaren, warum ich unterwegs war und wo ich hinfuhr. Jetzt, auf den letzten fünfzig Metern, schoben die Scheibenwi scher die Waschflüssigkeit beiseite, und er stand deutlicher da, ein Mann in Polizeijacke, die

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