Winter in Maine
genug.
Die Kugel war immer noch in der Luft. Vielleicht hatte ich die Männer noch nicht genug getötet.
Ich hatte Zeit, das in Ordnung zu bringen. Die Lichtung rings um mich war ein Territorium, das die Soldaten im Ersten Weltkrieg Niemandsland genannt hätten, ein Ort, den man nicht zu betreten wagt, denn wer es tut, kehrt nicht zurück, zumindest nicht als derselbe Mensch.
Die Nacht ließ mich zu einem Stock gefrieren und schwang mich drohend gegen die Welt, ich war der Stock, der gegen die Welt geschwungen wurde. Ich betrachtete meine Hand, die den Gewehrschaft hielt. Ich war das Gewehr. Ich war die Kugel, das Ziel, das, was ein Wort bedeutet, wenn man es ernst nimmt. Genau das bedeutet Rache, selbst wenns geschrieben ist.
29
Der dichte Schnee trieb im Wind dahin. Ich ging wieder ins Schlafzimmer und zog die Decken über mich, sank hinein, rollte mich so eng wie möglich zusammen und erzeugte meine eigene Wärme, so viel, dass ich mich bald wieder ausstrecken konnte. Die Plastikfolie, mit der ich die Fenster abgedichtet hatte, ließ immer noch so viel Wind herein, dass die Kerzen flamme flackerte und Schatten über die Wände huschten, aber vielleicht zitterte auch das Licht. Doch ich fühlte mich wie betäubt, als hätte ich etliche Körperteile verloren und wäre auf das Lebensnotwendige zusammengeschrumpft, also versuchte ich, die Hände zu bewegen, und spürte, dass ich sie auf der Brust gefaltet hatte.
Als ich lange nach Mitternacht warm und still dalag und in die Dunkelheit glitt, sah ich etwas aus der Finsternis hervor kommen.
Die Wölfe, die aus dem Bus gesprungen waren, kamen lautlos zwischen den Bäumen hindurch auf mich zu, ihr klarer Blick auf die Hütte gerichtet, diese bei den weißen Fellknäuel mit ihren blauen Augen und zielsicheren Sprüngen und Schrit ten, die so schnell zwischen den eng stehenden kahlen Birken hindurchglitten, dass ich sie nur bemerken würde, wenn ich das Ohr auf den Boden legte oder den Schnee von ihren Pfoten spritzen sähe. Sie kamen durch den gesamten Frühwinter auf mich zugerannt, gemeinsam oder kurz durch Bäume oder Felder getrennt, um sich danach wieder im selben Tempo und mit demselben Ziel zu vereinen. Sie hatten schon viele Kilo meter zurückgelegt, befreit von ihrem Leben in dem Bus, diesem letzten kümmerlichen Außenposten vor der Wildnis, und während sie näher kamen, richteten sie ihren unbeweglichen Blick auf mich.
Sie kannten mich jetzt.
3. - 5. November
DRITTER TEIL
30
Ich erwachte nur langsam, ohne zu wissen, welcher Tag oder wie spät es war, wo ich mich befand, und erst als ich ein paar Gegenstände erkannte, wusste ich, dass es mein Schlafzim mer war. Das Licht wirkte anders, wie an manchen Tagen, die sich von Anfang an unterscheiden: Vermutlich lag es an dem Schnee, der durchs Fenster glitzerte und das Zimmer ringsum erstrahlen ließ, als bestünde es nicht aus Einrichtungsgegen ständen.
Neben mir hörte ich, wie eine Stimme, eine menschliche Stimme, Worte bildete, die nichts mit meinen Gedanken zu tun hatten, und ich drehte mich zu meinem Kurzwellenradio um, das noch von der vorigen Nacht auf einen kanadischen Sender eingestellt war. Ich lag unter den Decken und lauschte. Tatsächlich, Schneeschauer an diesem Tag, aber später etwas Bedrohliches, eine in Zahlen erzählte Geschichte aus Quebec und nördlich von dort, die Temperaturen vor und hinter einer viel stärkeren Kaltfront, einer festen Linie, die mit Wind, an haltenden Schneefällen und schließlich bitterer Kälte nach Süden trieb.
Der Sprecher sagte, es sei Freitag, der Dritte, also das ers te Wochenende des echten Winters - noch einen, höchstens zwei Tage, bis das Unwetter mit seinem breiten Pinsel über diesen Wald hereinbrach und im Nu die Jahreszeit der Mäntel begann.
Ich stand auf und li ef zu dem kalten Hemd, das am Türknauf hing, zog die Hose an und begab mich zum Ofen, schob Papier und Holzscheite hinein und hielt ein zitterndes Streichholz daran. Der eisige Nebel meines Atems stieg wie ein Geist aus meinem Mund auf. Als Kind hatte ich mich an solchen Tagen immer gefragt, ob ich mich in Luft auflöste. Ich war träge, als würde ich hinter mir herhinken oder darauf warten, zur Be sinnung zu kommen, und hatte Schmerzen, obwohl ich beim Einschlafen noch nichts gespürt hatte.
Ich spießte eine Scheibe Brot auf eine lange Gabel und hielt sie vor die Flammen, danach streifte ich durchs Haus und trank zu meinem Toast heißen Tee. Mein Kopf war so leer wie die
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