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Winter in Maine

Winter in Maine

Titel: Winter in Maine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerard Donovan
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aus Bäumen und hielt meine mitternächtliche Gerichtsverhandlung ab. Immer mehr Gänse flogen nach Süden, lange Linien, die im Dunkeln tief über die Bäume strichen, sie mit ihren Schreien streiften, die Wolken mit ihrem Gespür verspotteten, und noch lauter, als sie direkt über mir waren, den Pfeil von der Spitze weit auffacherten und den Nachthimmel durchzogen wie Glasscherben. Ich hätte mitfliegen sollen. Diese Kälte.
    Es war mir so klar wie die Richtung, in die diese Gänse flo gen, dass Claire den Hund nicht erschossen haben konnte. Sie mochte sorglos mit den Herzen der Männer umgehen, aber sie war bestimmt nicht grausam. Ich hätte geradewegs ins Bett gehen, die Lampe der Erinnerung ausschalten und an nichts denken sollen. Vielleicht wollte ich sie noch einmal in meiner Nähe haben, noch einmal dasselbe empfinden wie damals.
    Wenn der Schuldige aus jener Zeit stammte, musste da noch jemand anders sein, vielleicht der Mann, den sie verlassen hatte, ein schweigsamer Mensch, der davon aus der Bahn ge worfen worden war. Ich ging noch einmal die Wochen durch, die ich mit ihr verbracht hatte, suchte eine Spur von ihm, etwas, das mir nicht aufgefallen war.
    Einen Ort, an dem ich nicht gesucht hatte.
    28
    Ich hatte ihn gesehen.
    Ich stand mit geschlossenen Augen auf der Lichtung und erinnerte mich an einen Abend in der Zeit, als ich mich mit Claire traf: Ich war allein nach Hause gefahren, der Nebel hatte den Kirchturm am anderen Flussufer umhüllt und am dichtesten auf dem Fluss gelegen. Die Scheinwerfer eines Au tos in New Brunswick, das in entgegengesetzter Richtung fuhr, leuchteten auf dem silbernen Faden der Straße. Bei diesen Bedingungen war die Straße kaum befahren. Einen Kilometer außerhalb der Stadt erstrahlte mein Heckfenster im Scheinwerferlicht eines anderen Wagens. Ich hielt am Straßenrand, wartete mit laufendem Motor auf dem Seitenstreifen und blickte mit einem Auge in den Spiegel, um den wirbelnden Nebel auf der langen Straße durchdringen zu können. Der Wagen kam nicht vorbei. Ein paar Kilometer weiter glaubte ich wieder, schwaches Scheinwerferlicht im Nebel auftauchen zu sehen. Ich fuhr zur Abzweigung und dann bis zu den Bäumen und parkte, schaltete das Licht aus und wartete, um zu sehen, ob jemand vorbeifuhr, kurbelte die Fensterscheibe herunter und schaute zurück, damit mir auch nichts entging. Nach dreißig Sekunden kam ein Wagen mit Abblendlicht vorbei, in Nebel gehüllt, der sich von ihm abschälte. Ich fuhr weiter, bis Hobbes den Weg entlang gesprungen kam, um mich hundert Meter vor der Hütte zu treffen, im Scheinwerferlicht erst seine leuchtenden Augen, dann die weiße Brust und sein Schwanz. Er kannte das Motorengeräusch und war die kleine Alarmanlage der Hütte, hatte angefangen zu bellen, als er den Pick-up hörte.
    Ich hätte dem Wagen folgen sollen. Ich hätte überholen und ihn anhalten, hingehen und an die Scheibe klopfen sollen. Dann wäre Hobbes vielleicht noch am Leben. Aber was wusste ich damals schon? Er war noch nicht tot gewesen. Es war bloß ein Auto gewesen, das hinter mir fuhr.
    War das die Person, die vor ein paar Tagen mit einer Schrot flinte in den Wald gekommen war, an dem Tag, als Hobbes einen Spaziergang machte? Angesichts dessen, was daraufhin passiert war, würden bestimmt noch andere kommen. Ich schlug die Augen auf und blickte in den Wald, ergriff das Gewehr und richtete es auf die dunklen Bäume.
    Keine Männer in dieser Nacht. Aber sie würden wiederkom men - ja, ganz bestimmt. Manche Leute verschwinden einfach nicht, sie sind an ihre Gewohnheiten gekettet, gehen in ihren eigenen Fußspuren, beobachten auf dieselbe Art, sagen dieselben Worte, stets ihr Verderben. Ich würde diesem Fahrer wiederbegegnen. Aber wenn ich nach unten schaute, sah ich Männer unter meinen Füßen: Ich zählte sie in dem Loch neben meinem Hund, als ich zu der Stelle hinabblickte, an der er dreißig Zentimeter unter der Erde lag, während ich auf dem blumenlosen Beet stand, vielleicht waren es genauso viele wie seine Mörder, auch wenn ich das nicht wissen konnte. Es war nur Einbildung, eine Laune des Gehirns, denn um genau zu sein, lagen die Jäger hinter mir im Wald, aber am nächsten Tag würden weitere Männer meinetwegen aus diesem Wald kommen, Männer, so geschickt und einfallsreich wie die anderen oder vielleicht noch besser. Die Kugel, die Hobbes getötet hatte, war durch ihn hindurchgegangen und hatte auch einige von ihnen getötet, und in dem Loch war noch Platz

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