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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
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meiner Mutter von dem ganzen Essen und Trinken weggelotst, hin zu jenen Speisen, die sein eigener Koch zubereitet hatte. Meine Mutter kochte eine Zeitlang innerlich, dann nahm sie ihren ganzen Mut zusammen, bahnte sich einen Weg durch die Menge und stellte sich Tito vor. In der Hand hielt sie einen Teller párky, die berühmten und pikanten tschechischen Würste, die sie selbst zubereitet hatte. Um ihm zu zeigen, dass keinerlei Gefahr bestand, halbierte sie eine Wurst, steckte eine Gabelvoll in den Mund und bot unserem Gast die andere an. Er lächelte, kostete und bat um mehr Würste. Eins zu null für Frau Korbel!
    Bei einem späteren Anlass, während einer diplomatischen Zeremonie, wurde meine Mutter aufgefordert, mit den Frauen zweier anderer Botschafter im Vorzimmer Platz zu nehmen. Plötzlich ging die Tür auf, und ein jugoslawischer Soldat marschierte mit einem Silbertablett herein, auf dem drei purpurrote Samtkästchen standen; in jeder befand sich ein Ring mit dem jeweiligen Monatsstein. Der Edelstein, der meiner Mutter überreicht wurde (sie hatte im Mai Geburtstag), war ein Smaragd, umgeben von 14 Diamanten. Wir
nannten ihn »Titos Ring«, und als mein Vater ihn zum ersten Mal sah, grummelte er: »Ich frage mich, wem sie den Finger abgeschnitten haben, um den zu bekommen.« Später wurde der Ring an mich weitergegeben, und ich trug ihn im Jahr 1980 bei Titos Begräbnis.
     
    I m August 1946 wurde mein Vater von seinen Pflichten in Belgrad abberufen, um Masaryk und Clementis als Repräsentant der Tschechoslowakei bei der Friedenskonferenz in Paris zu begleiten. Er fragte mich, ob ich gerne mitkommen würde; ich sagte Nein, was ich noch heute nicht glauben kann, vielleicht abgesehen von dem Argument, dass ich Angst vor dem Fliegen hatte und damals womöglich schon genug herumgekommen war.
    Die Hauptaufgabe meines Vaters in Paris war es, den Vorsitz der Wirtschaftskommission für den Balkan und Finnland zu übernehmen. Bei dieser Aufgabe verdiente er sich den Respekt vieler US-Diplomaten, weil er nicht wie ein Stalinist auftrat. Das mag als ein schwaches Lob erscheinen, aber es bedeutete damals wirklich viel. Die Atmosphäre zwischen West und Ost verschlechterte sich rapide, weil die Sowjets in fast jeder Frage auf Konfrontationskurs gingen. Sie gingen davon aus, dass die Repräsentanten der slawischen Länder ihrem Vorbild folgten, was sie in der Regel auch taten. Dieses resignierte Verhalten bestürzte die Vereinigten Staaten regelrecht, die eine Spaltung der Welt in zwei erbittert feindliche Blöcke noch nicht akzeptiert hatten. An einem Nachmittag kochte US-Außenminister James Byrnes vor Zorn, während ein sowjetischer Sprecher die amerikanische Außenpolitik mit boshaften und sarkastischen Worten verunglimpfte. Er brauste auf, als er zwei tschechische Diplomaten erblickte, die grinsten und den beleidigenden Äußerungen Beifall klatschten. Ich versuche mir auszumalen, wie anders mein Leben verlaufen wäre, wenn mein Vater einer von denen gewesen wäre.
    Oberste Priorität für die Tschechoslowakei hatte tragischerweise das Anliegen, den Entwurf für einen Friedensvertrag mit Budapest dahingehend zu erweitern, dass die Vertreibung von 200 000 ethnischen Ungarn von ihrem Boden autorisiert wurde. Die Entscheidung unserer Regierung, den größten Teil der deutschen Bevölkerung
zu vertreiben, ließ sich zumindest mit dem Verweis auf die extremen Umstände rechtfertigen. Diesem parallelen Vorstoß fehlte jedoch eine rationale Grundlage. Nach dem Münchner Abkommen hatten Ungarns Staatschefs die Schwäche Prags genutzt, um einen Streifen im Süden der Slowakei zurückzufordern; außerdem hatte das Land im Zweiten Weltkrieg während der meisten Zeit an der Seite Deutschlands gekämpft. Aber die Slowakei war ebenfalls ein deutscher Bündnispartner gewesen. Tschechische und slowakische Vertreter, angefangen bei Beneš, setzten häufig Verbrechen der Ungarn mit den von Deutschen begangenen gleich. Das war unfair. In Wahrheit war die ethnische »Säuberung« vorgeschlagen worden, weil sie unter der slowakischen Bevölkerung populär war und weil die Tschechoslowakei dadurch nicht so vielfältig und deshalb leichter zu regieren war. Diese Gründe waren alles andere als überzeugend, und bei der Konferenz von Potsdam hatte weder die amerikanische noch die britische Regierung die Argumente akzeptiert. Vielmehr war die Frage zu einer neuerlichen Beratung in Paris vertagt worden.
    Die Diskussion begann spät am 14.

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