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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
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bestand darauf, dass sich die Russen an ihre Zusage hielten, sich nicht in die inneren Angelegenheiten des Landes einzumischen – bislang bestand ja auch keinerlei Notwendigkeit dafür.
    Das oberste Ziel für Beneš war der Erhalt des Landes. Wenn das hieß, den Sowjets in der Außenpolitik nachzugeben, so nahm er das in Kauf. Wie Tomáš G. Masaryk vor ihm wusste er wohl, dass es einige Zeit dauerte, bis politische Institutionen ausreifen und Parteiführer lernen, Meinungsunterschiede im Sinne des Allgemeinwohls zurückzustellen. Er ging davon aus, dass die bevorstehenden Monate eine Testphase waren, während sich die Kandidaten auf die nächsten Wahlen, die für Frühjahr 1948 geplant waren, vorbereiteten. Die Kommunisten strebten die absolute Mehrheit an. Die Demokraten waren entschlossen, das zu verhindern und ihr Ergebnis zu verbessern.
    Wie so oft mussten sorgfältig ausgearbeitete politische Pläne mit Blick auf unvorhergesehene, wirtschaftliche Zwänge abgeändert werden. In diesem Fall waren klimatische Extreme die Ursache für die Krise. Weil es wochenlang nicht regnete und eine Hitzewelle herrschte, gerieten die Bauern in Panik, und die Lebensmittelpreise wurden in die Höhe getrieben. Man befürchtete, die Ernte würde nicht einmal einen halb so großen Ertrag wie üblich einbringen. Das Land brauchte dringend Hilfe, und deshalb wurde der von den USA angekündigte Plan für den Wiederaufbau ganz Europas voller
Begeisterung begrüßt. Die Eckpunkte des Programms wurden von US-Außenminister George Marshall bei einer Eröffnungsrede in Harvard umrissen. Er präsentierte nicht ein Hilfspaket, sondern eher ein großzügiges und koordiniertes System aus Krediten, um Europa zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Es wurden Einladungen an alle Hauptstädte auf dem Kontinent verschickt, auch an Moskau. Ende Juni fand ein Vorbereitungstreffen statt, zu dem der russische Außenminister Molotow mit gut hundert Beratern erschien. Die französische Regierung lud anschließend 23 Länder ein, zu einer zweiten Konferenz Mitte Juli zu kommen. Die dringendste Frage lautete damals: Würden die Länder Mittel- und Osteuropas an dem großen Plan Amerikas teilnehmen?
    Bei einer Kabinettssitzung am 4. Juli führte Jan Masaryk aus, dass amerikanische Kredite helfen könnten, die Wirtschaft anzukurbeln, bis sich die Landwirtschaft und die tschechoslowakische Industrie erholten. Er sah keine diplomatischen Schwierigkeiten voraus; die Polen und Rumänen hatten ebenfalls die Absicht teilzunehmen, und die Sowjets hatten nicht protestiert. Er schlug vor, dass das Land einen Botschafter zu dem Informationstreffen in Paris schickte, um herauszufinden, was die Amerikaner anboten und zu welchen Bedingungen. Selbst Gottwald stimmte dieser Empfehlung zu; das Kabinett verabschiedete den Beschluss einstimmig.
    Während das Kabinett in Prag beriet, machte meine Familie in Slowenien Urlaub, wo sich auch Tito und seine hohen Berater erholten. In dieser informellen Umgebung tauschte mein Vater sich mit den Jugoslawen aus. Sie sagten, ihr Land – das ebenfalls massive wirtschaftliche Probleme hatte – werde eine Delegation nach Paris schicken. Zwei Tage später erfuhr mein Vater, dass die Entscheidung revidiert worden war: Jugoslawien werde nicht teilnehmen. Warum? Laut Tito hatte der Meinungsumschwung nichts mit Druck seitens der Sowjets zu tun; er traute den Amerikanern schlichtweg nicht. Mein Vater hielt den zweiten Teil der Erklärung für durchaus plausibel, den ersten jedoch für schlichtweg falsch.
    Unterdessen waren Gottwald, Masaryk und Drtina nach Moskau gereist, um den Kreml wegen eines vorgeschlagenen Vertrags zwischen der Tschechoslowakei und Frankreich zu Rate zu ziehen.
Das Trio repräsentierte anschaulich eine in sich gespaltene Regierung: Gottwald, der überzeugte Kommunist, Drtina, der glühende Demokrat, und Masaryk, der gefühlvolle Humanist mit wenig Sinn für Konfrontation. Das Treffen begann mitten in der Nacht, wie die meisten Treffen mit russischen Parteichefs. Stalin war liebenswürdig, aber unnachgiebig. Der Marshallplan, erklärte er, sei nicht ein Programm für den Wiederaufbau Europas, sondern ein Instrument, um ihn persönlich anzugreifen. »Wenn Sie nach Paris gehen«, warnte er, »beweisen Sie damit, dass Sie den Wunsch haben … die Sowjetunion zu isolieren.« Masaryk sagte, er könne nicht sehen, inwiefern der Plan der UdSSR schade, und dass sein eigenes Land dringend Importe aus dem Westen brauche.

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