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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
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kommentierte. 34 Einmal mehr klagte Masaryk, wie schwer es ihm falle, andere zu hassen. Die Friedenskonferenz war für die Tschechoslowakei kein voller Erfolg, aber die Korbels zogen einen gewissen Nutzen daraus. Mein Vater und Clementis kehrten aus Frankreich mit einem Paar schwarzer Cocker-Spaniel-Welpen zurück, die sich bis auf’s Haar glichen. Wir nannten unseres Era. Ich weiß nicht warum – womöglich hatten meine Eltern das Gefühl, dass wir damals in eine neue Ära eintraten.
     
    J an Masaryk flog von der Friedenskonferenz direkt nach Long Island, um an der zweiten Sitzung der Vereinten Nationen teilzunehmen, die am Lake Success, ihrem vorübergehenden Sitz, stattfand. Während seines Aufenthalts in New York hielt er Kontakt zu einer befreundeten Dame, der amerikanischen Schriftstellerin Marcia Davenport, die ihn wegen seines Interesses an Musik (ihre Mutter Alma Gluck war eine berühmte Sopranistin), seines Appetits (sie war eine ausgezeichnete Köchin) und ihrer Intelligenz (immerhin hatte sie an der Privathochschule Wellesley ihr Examen gemacht) anzog. Die beiden waren seit ihrer ersten Begegnung bei einer Dinnerparty in New York anno 1941, unmittelbar vor Pearl Harbor, mehr oder weniger zusammen gewesen. Als Autorin war die 43-jährige Davenport für ihre sehr gut rezensierte Mozart-Biographie und für den Roman The Valley of Decision bekannt, den man kurz zuvor mit Gregory Peck verfilmt hatte (deutscher Filmtitel: Die Entscheidung ).
    Sie schrieb über jene Zeit, dass Masaryk sich von der Politik des Kalten Krieges, von den gesellschaftlichen Anforderungen seiner Stellung und der Bürde, sich dem Namen seines Vaters würdig zu erweisen, regelrecht zerrissen fühlte. Sie schrieb ihrem Freund eine »intuitive, diplomatische Begabung« zu, räumte aber ein, dass das hektische Wechselspiel der Politik ihm kein Vergnügen bereitete. »Wenn es nach ihm gegangen wäre«, sagte sie, »hätte er am liebsten einfach nur Klavier gespielt.« 35 Das Paar verbrachte die Ferien zwischen 1946 und 1947 auf einem gemieteten Bauernhof in Florida, mitten in einem Wäldchen aus Zitronenbäumen und dem derben Geschwätz der Einheimischen, das Masaryk als »dooks« (etwa: Bauernschläue) bezeichnete. Diese Zeit bot dem Außenminister eine seltene Gelegenheit, den widersprüchlichen Ratschlägen, die er unablässig bekam, und dem Druck zu entfliehen, der sich sowohl um ihn als auch in ihm aufbaute. Einmal machte er in einem Gespräch mit Davenport seiner Verachtung für die nationalistischen Phrasen Luft, welche die Pariser Friedenskonferenz dominiert hatten und die bei fast jedem Akt der Geschichte seines Landes gegenwärtig waren:
     
    Sie sind nicht reinblütiger das, was Sie zu sein glauben als ich. Irgendwo bin ich bestimmt jüdisch, auch wenn in der belegbaren Geschichte nichts davon steht. Und Sie! Wie können Sie verdammt noch mal wissen, wer Sie sind?
    Ich weiß es nicht.
    Und genauso wenig irgendjemand, der, so weit er sich erinnern kann, aus den Teilen Europas stammt, die der Schauplatz der Napoleonischen Kriege gewesen waren. Sie glauben, Sie hätten keine tschechischen Vorfahren. Sie irren sich. Irgendein Vorvater von Ihnen kam dort als Wehrpflichtiger in der russischen Armee durch, und wenn er kein Andenken bei einem einheimischen slečna [Fräulein] zurückließ, so war es eben umgekehrt, und ein Tscheche in der österreichischen Armee hatte ein bisschen Spaß mit einem hübschen Mädchen in Galizien, das man mit Ihrem Urgroßvater verheiratete. Sie sind wie alle, deren Volk in den achtziger und neunziger Jahren [des 19. Jahrhunderts] nach Amerika flüchteten  – all jene Dörfer und Synagogen mit den Papieren der Familie wurden bei Pogromen in Brand gesteckt. Kein Mensch weiß etwas.… Was den Adel mit seinen … tausendjährigen Stammbäumen angeht; dort gerät man in die Abteilung für Vergnügungen. … Mein Vater war der Sohn eines slowakischen Kutschers und einer mährischen Dienstmagd, die Leibeigene waren. Ich kann nicht nachweisen, welches Blut deren Eltern hatten, und das kann auch kein anderer Mensch. 36

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RINGEN UM DIE SEELE EINER NATION
    F rühjahr 1947. Die Wahlen im Mai des Vorjahres hatten bei den Kommunisten die Hoffnung geweckt, dass es ihnen tatsächlich gelingen könnte, mit demokratischen Mitteln die Demokratie abzuschaffen. Was wäre als Antwort auf die Kritik des Westens besser geeignet als zu zeigen, dass der Marxismus in Wahrheit den Volkswillen widerspiegelt? Gottwald

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