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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
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teilte. Der Präsident wies Ripka an, »standhaft zu bleiben« und »Fehler zu vermeiden«, aber das heißt nicht, dass er damit die eskalierende Wirkung der Aktionen gemeint hatte, die die demokratischen Führer in Kürze ausführen wollten.
    Sonst hätte er womöglich darauf hingewiesen, dass der Plan nur mit der vollen Kooperation der Sozialdemokraten gelingen konnte, denn ohne sie fehlte den Ministern die erforderliche Mehrheit, um die Regierung zu stürzen. Die Sozialdemokraten hatten sie beim Polizeistreit unterstützt, hatten Ripka jedoch abgewiesen, als er die Idee eines Gruppenrücktritts präsentierte. So ein dramatischer Schritt käme einer politischen Kriegserklärung gleich, und das konnten sie nicht billigen, ohne das Gerüst ihrer eigenen Organisation zu einzureißen.
    Die demokratischen Minister führten ihr Vorhaben dennoch durch und reichten am Freitag, dem 20. Februar 1948, ihr Rücktrittsgesuch ein, in der Hoffnung, die Kommunisten zu überrumpeln. Aber weit gefehlt. Gottwald fing sofort an, sein Netzwerk treuer Anhänger zu mobilisieren. Das Gift der von den Kommunisten kontrollierten Medien ergoss sich ausschließlich auf die zwölf Minister, die angeblich Befehle von finanziellen Interessengruppen im Ausland entgegennahmen und zurückgetreten waren, um die Demokratie zu sabotieren und den Volkswillen zu blockieren.
    Am nächsten Morgen stellte sich Gottwald vor die riesige Statue von Jan Hus auf dem Altstädter Ring und forderte den Präsidenten auf, die Minister beim Wort zu nehmen und sie durch eine nationale Einheitsfront abzulösen, die aus »guten« Tschechen und Slowaken bestand. Gottwald marschierte zum Hradschin und wiederholte dort seine Forderung. Beneš lehnte ab und forderte stattdessen die Parteiführer aller Seiten auf, eine Lösung auszuhandeln. Die Demokraten waren darüber bestürzt, dass er nicht den Rest des Kabinetts zum Rücktritt aufgefordert hatte. Da diese Alternative im Vorfeld nicht mit ihm abgesprochen wurde und eine Entlassung des Kabinetts jedenfalls seine verfassungsmäßigen Rechte überstieg, ist
diese Klage kaum nachzuvollziehen. Tatsächlich hatte Ripkas Versäumnis, die Sozialdemokraten ins Boot zu holen, zur Folge, dass eine Mehrheit des Kabinetts im Amt blieb; die Regierung war nicht gestürzt. Gottwald war immer noch Regierungschef; dem Präsidenten blieb nicht viel anderes übrig, als mit ihm schlecht und recht auszukommen.
    Bei all diesen dubiosen politischen Machenschaften ging die Diplomatie des Kalten Krieges weiter ihren Gang. Mein Vater kehrte aus Belgrad nach Prag zurück, um an Treffen mit jugoslawischen und polnischen Vertretern teilzunehmen, die man (im Rahmen von Gottwalds großem Plan) in erster Linie zusammengerufen hatte, um den Westen zu verunglimpfen. Es wurden Empfänge veranstaltet, und Redner erhielten viel Beifall für ihre Kritik am britischen Imperialismus und an der US-Hegemonie. Um diese Punkte zu unterstreichen, wurde eine gemeinsame Erklärung vorgeschlagen. Mein Vater verabscheute das ganze Spektakel, konnte aber kaum etwas tun, um die Ereignisse zu beeinflussen. Masaryk, der in seiner Funktion als Außenminister eigentlich eine zentrale Rolle spielen sollte, zog sich völlig zurück, täuschte entweder eine Krankheit vor oder war wirklich krank. Er bat meinen Vater, ihm zu seiner Wohnung zu folgen, die im dritten Stock des Außenministeriums lag. »Ich traf ihn in seinem Schlafzimmer«, sagte mein Vater. »Er lag auf dem Bett, wie er es häufig machte … um vor unwillkommenen Besuchern … zu flüchten. Er sagte zu mir: ›Ich kann meine Unterschrift nicht unter so ein Dokument setzen. Ich habe mein halbes Leben unter Amerikanern und Briten verbracht, jedes Stück meiner Seele fühlt mit ihnen, und jetzt werde ich aufgefordert, eine Deklaration gegen sie zu unterschreiben. Ich kann das einfach nicht. Versuchen Sie, es irgendwie zu ändern.‹« 47 Mein Vater seufzte; bevor er ging, warf er noch einen Blick aus dem Fenster in den dunklen Hof darunter. Das sollten die letzten Worte sein, die er mit seinem Vorgesetzten wechselte.
     
    A n jenem Sonntag erholte sich Beneš in seinem Ferienhaus in Sezimovo Ústí, 80 Kilometer von der Hauptstadt entfernt; Masaryk lag immer noch im Bett; andere demokratische Führer waren weit verstreut: hier eine Ehrung entgegennehmen, dort an einer Frauenkonferenz
teilnehmen, ein Skirennen in der Tatra fahren oder eine Rede halten, die die eigenen Anhänger auffordert, Ruhe zu bewahren.

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