Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)
Sicherheit beantworten.
So wie es nun aber kam, war der Platz der Tschechoslowakei im Universum des Kalten Krieges festgelegt. Kurz nach der Machtübernahme ordnete der Bildungsminister an, dass in jedem Klassenzimmer ein Porträt von Stalin aufgehängt werden müsse und auf jedes Abspielen der tschechoslowakischen Hymne »Wo ist meine Heimat« die sowjetische Nationalhymne folgen solle. Neuer Justizminister wurde Gottwalds Schwiegersohn, unter dessen Leitung das Justizwesen zu einem Arm der kommunistischen Partei wurde. Demokratische Aktivisten wurden unter falschen Anklagen vor Gericht gebracht, und eine Reihe von Arbeits- und Umerziehungslagern wurde eingerichtet. Damit prominente Demokraten nicht außer Landes flüchteten, wurden die Grenzen geschlossen. Männer wie Ripka und Drtina wurden von der Polizei beschattet, ihre Telefonleitungen wurden gekappt und die Post abgefangen. Jeder, der sie
besuchte, konnte sich darauf verlassen, dass sein Name und seine Adresse in ein kleines schwarzes Buch eingetragen wurde.
Westliche Regierungen zeigten sich empört über den Putsch. Gottwald antwortete, dass er von den Akteuren in München keine Lektion in Sachen Demokratie brauche.
In England hatte meine Familie im Jahr 1940 im selben Mietshaus wie Drtina, der inzwischen abgesetzte Justizminister, gewohnt. Unser Freund war immer ein Optimist gewesen, sogar während der Besatzungszeit, als er über ein Jahr lang in Prag geblieben war und beim Aufbau des Widerstands mitgeholfen hatte. Gemeinsam hatten unsere Familien die Luftschlacht überstanden und sich auf das Kriegsende gefreut. Am Abend des 28. Februar, drei Tage nach dem Putsch, versuchte Drtina, Selbstmord zu begehen, aber er stellte sich nicht gerade geschickt an. Er sprang aus dem Fenster seiner Wohnung im zweiten Stock, verletzte sich dabei schwer, wurde ins Krankenhaus gebracht und anschließend ins Gefängnis gesteckt, wo er die nächsten zwölf Jahre blieb. ak
Innerhalb der Regierung blieben nur noch zwei große Persönlichkeiten: Beneš, ein Präsident ohne Macht, und Masaryk, ein Außenminister ohne Regierung, die er gerne repräsentieren würde. Elf Jahre zuvor, als Tomáš G. Masaryk auf dem Totenbett gelegen hatte, hatte er Jan gebeten, Beneš zu helfen: »Du kennst die Welt viel besser als er. Steh ihm immer bei. Versprich mir, dass du ihn niemals im Stich lassen wirst.« 52 Das war eine Erklärung für Masaryks Treue, und sie ging wirklich tief. Wie er Marcia Davenport einmal sagte:
[Beneš] war … ein Märtyrer für die Sache meines Vaters. … Jedes Mal wenn er mit einem politischen Problem konfrontiert wurde, sprang Beneš in die Bresche. Bei jedem Fehler
nahm er die Schuld auf sich. Er war der Prügelknabe. Er stieg in den Graben und übernahm die politische Drecksarbeit, die meinen Vater von allem verschonte, damit er der Heilige blieb, für den die Menschen ihn hielten, und der Heilige, der er wirklich war. Aus diesem Grund werde ich Beneš die Treue halten, bis zum Tod. 53
Der Präsident wohnte nicht mehr in der Burg. Nach der Katastrophe vom 25. Februar zog er auf sein privates Gut in Sezimovo Ústí, eine Stadt, in der zufällig Jan Hus über 500 Jahre zuvor Zuflucht gesucht hatte. Warum trat Beneš nicht zurück? Er sagte zu Masaryk, Gottwald habe gedroht, massive Gewalt zu entfesseln, bei der Tausende umkommen und das Land zerstört würde. Die Kommunisten bestanden darauf, dass der Präsident im Amt blieb, damit sie ihrem Putsch das Mäntelchen der Legalität umhängen konnten. Kein Name wurde in Europa enger mit Demokratie verknüpft als der von Beneš. Der alte Mann sah lediglich Spielraum für eine Geste: den Auszug aus der Burg und allem, für das sie stand.
Und was war mit Masaryk, warum trat er nicht zurück? Seine Zuneigung zu Beneš war sicherlich ein Grund; überdies war sein Posten ein gewisser Schutz sowohl für ihn als auch für andere. Er sagte zu Steinhardt, dass er zugunsten von über 200 Menschen interveniert habe, entweder indem er ihnen die Verhaftung ersparte oder bei der Flucht half. Wenn er in dieser Phase einen Plan für seine eigene Zukunft hatte, so war es, einen Weg aus dem Land finden. Welchem Außenminister wurde es denn schon verboten zu reisen? An internationalen Konferenzen herrschte nie ein Mangel. Womöglich konnte er vom Exil aus neu anfangen. Das hieß jedoch, dass er die Kommunisten überzeugen musste, dass sie nichts zu befürchten hatten, dass er weiterhin den braven Soldaten Schwejk spielte –
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