Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)
dass keiner so recht wusste, was er dagegen einwenden sollte.
Hubert Ripka war einer derjenigen, die Beneš am nächsten standen. Er war erfahren und klug, kannte jeden Einzelnen in der Regierung und war bei den meisten beliebt. Er hatte schon auf verschiedenen Posten gedient und war zu der Zeit sowohl Führer der Demokratischen Partei als auch Handelsminister. Mein Vater zählte ihn zu den prächtigsten Menschen in ganz Prag. In einem konventionellen politischen Rahmen wäre Ripka ein tüchtiger Interessenvertreter und Parteiführer gewesen, aber in der Tschechoslowakei des Jahres 1948 war er eine Flunder, die mit den Haien schwamm. Am 9. Februar wollte er bei einem Treffen mit Gottwald den Groll abbauen, der die Regierung zu blockieren und das Land zu spalten drohte. Stattdessen artete das Gespräch schon nach wenigen Höflichkeitsfloskeln zu einem Geschrei aus, weil jeder den anderen immer wieder unterbrach. Gottwald warf Ripka vor, sich dem Aufbau des Sozialismus zu widersetzen, Verräter zu decken und sich, wie die Nazis, zur Bildung einer antibolschewistischen Koalition zu verschwören. Ripka erklärte seinerseits, dass Gottwalds Agenda ein totalitärer Staat sei und somit ebenfalls eine Nachahmung der Nazis.
Die nächste Kabinettssitzung, vier Tage später, brachte die Regierung an den Rand des Scheiterns. Die Demokraten legten Beweise in Form eines ausführlichen, mit Statistiken überfrachteten Berichts von Drtina vor, dass die Kommunisten versuchten, die Polizei unter ihre Kontrolle zu bringen, möglicherweise zur Vorbereitung eines Putsches. Noch während der Sitzung ging die Meldung ein, dass der Innenminister die Entlassung von acht Bezirkspolizeichefs und ihre Ersetzung durch Kommunisten angeordnet habe – jener Beamten, die für die Ausgabe von Waffen und Munition zuständig waren. Drtina beantragte sofort, die Polizisten wieder einzusetzen und weitere Entlassungen während einer Untersuchung des Kabinetts zu stoppen. Die Sozialdemokraten unterstützten gemeinsam mit den anderen nichtkommunistischen Parteien den Antrag. Einige der Polizisten, die entlassen werden sollten, waren Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei; die Verabschiedung war für Gottwald
überaus ärgerlich und heizte die Spannung zusätzlich an. Die Zeitungen wimmelten nur so vor Unterstellungen des Verrats, und am Sonntag, dem 22. Februar, wurden Tausende von Gewerkschaftsvertretern, die zu 90 Prozent Kommunisten waren, zu einer Versammlung nach Prag gerufen.
Ripka war überzeugt, dass die Kommunisten einen Plan hatten und dass er ihn kannte. Seine Spitzel hatten ihn informiert, dass Gottwald die Absicht habe, ein radikaleres Wirtschaftsprogramm zu präsentieren, mit dem er sich die Zustimmung der Gewerkschaftsversammlung und vermutlich einiger Sozialdemokraten sichern wollte. Ripka befürchtete, dass dieses Manöver einen Ausbruch populistischer Gewalt auslösen und von dem Polizeistreit ablenken werde. Am 16. Februar schlug er den anderen demokratischen Ministern vor, als Gruppe zurückzutreten und damit einem Showdown im Vorfeld der Massenkundgebung am Sonntag zuvorzukommen:
Das ist die einzige Möglichkeit, dem Plan der Kommunisten entgegenzutreten. … Wenn wir wegen dieser Frage eine Krise herbeiführen, können sich die Sozialdemokraten nicht von uns distanzieren. Sobald die Krise da ist, werden wir zweifellos sofort Wahlen veranstalten müssen. Wenn der Wahltermin vorgezogen wird, haben die Kommunisten nicht mehr die nötige Zeit, um die Polizei und die Armee unter Kontrolle zu bringen. 46
Zwei Tage später trafen sich Ripka und Zenkl auf dem Hradschin, um Beneš über ihre Strategie zu informieren und von ihm grünes Licht zu bekommen. Das war wichtig, weil der Präsident die Vollmacht hatte, falls die Regierung scheiterte, Neuwahlen anzuordnen. Selbst nach Ripkas Version verlief das Gespräch nicht sachlich, sondern weitschweifig und konfus. Beneš stimmte zu, dass die Kommunisten verpflichtet seien, den Anweisungen des Kabinetts bezüglich der Polizei Folge zu leisten. Er erklärte auch, dass ein Kabinett, aus dem man die demokratischen Parteien ausgeschlossen hatte, nicht akzeptabel sei. Er sagte allerdings nicht (weil niemand es für nötig hielt nachzufragen), was er genau tun würde, wenn die demokratischen
Minister wie geplant alle zurücktreten würden. Ripka dachte, er habe ein eindeutiges Signal bekommen, weiter nach Plan vorzugehen, aber es ist alles andere als sicher, dass Beneš diese Auffassung
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