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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
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den weißen Klippen von Dover aufhielt. Eden machte einen kurzen Erkundungsspaziergang und berichtete, die See sei rau und der Nebel undurchdringlich. Eine Invasionsstreitmacht, so teilte er seinem Vorgesetzten mit, werde sich entweder verirren oder in einem fortgeschrittenen Stadium der Seekrankheit eintreffen. Am nächsten Morgen meldete sich Roosevelt noch einmal. »Es tut mir furchtbar leid«, sagte er. »Wir haben die Codes verwechselt. Die Invasion war in Indochina, nicht in England, und durch Japan, nicht Deutschland.« 58
    Bild 33
    Londoner suchen in der U-Bahn Zuflucht, 21. Oktober 1940
    Mehr als einmal schlugen in jenem Monat Bomben im Buckinghampalast oder in unmittelbarer Nähe ein, so dass das historische Gebäude erheblich beschädigt wurde, doch den Bewohnern geschah nichts. Die Angriffe trugen dazu bei, eine liebevolle Beziehung zu festigen, die zwischen der britischen Bevölkerung und dem Königspaar entstanden war. König Georgs mutige Anstrengungen, sein Stottern zu überwinden, waren allgemein bekannt und wurden sehr
bewundert – ebenso Besuche des Königs und der Königin in Gegenden, die bombardiert worden waren. Gelegentliche Kommentare im Rundfunk seitens der jungen Prinzessin Elizabeth trafen ebenfalls genau den richtigen Ton. Historiker haben darauf hingewiesen, dass die Deutschen klüger daran getan hätten, die Angriffe auf die nicht ganz so noblen Viertel Londons zu beschränken und dadurch die Kluft zwischen Arm und Reich zu vergrößern. Stattdessen bewirkten sie genau das Gegenteil. Ein beliebtes Lied aus jener Zeit lautete wie folgt: »The King is still in London, in London, in London; and he would be in London Town, if London Bridge was falling down.«
     
    Zu der Zeit war ich schon ein richtiges Kleinkind. Sobald die Sirene ertönte, rannte meine Familie die enge, graue Betontreppe im Princes House in den Keller hinunter, der in mehrere kleine und einen größeren Raum unterteilt war. Wir waren jedes Mal gut ein Dutzend, manchmal auch mehr, wenn Gebäude in der Nachbarschaft evakuiert werden mussten. Wir tranken Tee oder Kaffee, den die Luftschutzwarte gekocht hatten, und aßen gemeinsam Brot und Kekse. Wir schliefen (sofern wir es überhaupt konnten) im größten Raum auf Feldbetten oder Matratzen. Das Gebäude war zwar solide gebaut, aber im Keller liefen dicke Heißwasser- und Gasleitungen unmittelbar unter der Decke durch. Sie erwärmten die Räume, aber wenn eine Bombe in der Nähe eingeschlagen wäre, wären wir verbrüht oder erstickt worden, selbst wenn sie nicht das Haus selbst getroffen hätte. Als Kind dachte ich nicht an solche Möglichkeiten, sondern freute mich über die Aufregung. Am Morgen, sobald Entwarnung gegeben wurde, rannten wir auf die Straße oder stiegen aufs Dach, um den Schaden zu begutachten.
    Da unser Viertel Notting Hill Gate keinerlei strategische Bedeutung hatte, war es kein Hauptangriffsziel für die Luftwaffe, aber es schlugen dennoch an mehr als zwölf Orten Bomben ein und töteten 50 Menschen. Unter unseren Nachbarn war Orlow Tollett, eine ehemalige Bewohnerin des Princes House, die noch zur Jahrtausendwende in der Gegend lebte. Im Jahr 2011, im Alter von 103 Jahren, erklärte sich Mrs. Tollett freundlicherweise bereit, für dieses Buch einige Fragen zu beantworten. Sie erinnerte sich, dass eine gewisse
Distanz zwischen den Flüchtlingen und den Briten herrschte, die in unserem Haus lebten, dass es aber »im Allgemeinen eine sehr angenehme Gruppe mit einer herzlichen Wärme zwischen den beiden Seiten« gewesen sei. »Die Leute halfen einander bereitwillig. Sie spielten häufig großartige Partien Bridge und teilten ihre Vorräte miteinander.« 59 Da sie in den besten Jahren und immer noch Single war, begab sich Mrs. Tollett selten in unseren Keller; sie war der Meinung, dass es, falls es zum Schlimmsten kam, sicherer sei, über den Trümmern zu sein als darunter. An einem Abend auf dem Höhepunkt des Luftangriffs forderte sie das Schicksal geradezu heraus und ging mit einem Freund zu Freemason Arms, einem kleinen Pub an der Portobello Road, um eine Partie Darts zu spielen und einen Drink zu nehmen – was immer sie noch anboten. Sie erinnerte sich:
    Das Pub wurde an jenem Abend direkt getroffen. Ich fiel unter die Theke. Dort war ich eingeklemmt und konnte nicht heraus. Dann kam die Feuerwehr, und sie waren so nett, mich herauszuziehen. Als sie das taten, hatte ich nicht allzu viel an; sie brachten mich ins Kloster. 60
    Orlow Tollett wusste

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