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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
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Roosevelt die Wiederwahl gewonnen, nicht zuletzt dank seines Versprechens, die Vereinigten Staaten aus dem Krieg herauszuhalten. Er war zwar nicht bereit, dieses Versprechen zu widerrufen, aber er war fest entschlossen, England zu helfen. Mitte Dezember präsentierte er sein innovatives Leih-und-Pacht-Programm, nach dem den Briten und anderen Bündnispartnern – als Gegenleistung für geringfügige Stationierungsrechte  – für die Dauer des Konflikts ein Teil der amerikanischen Rüstungsproduktion leihweise zur Verfügung gestellt wurde. Als Reporter ihn nach den Kosten fragten, antwortete er: »Wenn das Haus eines Nachbarn in Flammen stehe, sage man auch nicht zu ihm: ›Nachbar, mein Gartenschlauch hat mich fünfzehn Dollar gekostet, Sie müssen mir fünfzehn Dollar dafür zahlen.‹ Vielmehr leihe man ihm seinen Gartenschlauch und bekomme ihn später wieder zurück.« 66
    Die meisten Amerikaner wollten von einer direkten Beteiligung an dem europäischen Konflikt zwar immer noch nichts wissen, aber allmählich teilten sie FDRs Gefühle diesbezüglich. Von Neuengland
bis nach Kalifornien hatten sie aufmerksam die Luftschlacht um London verfolgt und bewunderten die Entschlossenheit Englands. Korrespondenten wie James Reston, Edward R. Murrow und John Gunther zeichneten mit einer bunten Palette von Adjektiven ein schmeichelhaftes Bild von Großbritannien im Belagerungszustand.
    Einige Beiträge waren regelrecht melodramatisch:
    Sie werden teilweise von der Folklore, der Tradition und der Geschichte Großbritanniens gestützt, aber sie sind ein unaufdringlicher Haufen. Sie betrachten sich selbst nicht als Helden … Diese Männer mit geschwärzten Gesichtern und blutunterlaufenen Augen, die Brände bekämpfen; das Mädchen, das das Lenkrad eines schweren Krankenwagens in ihren Armen birgt; [und] der Polizist, der heute bei einer nicht detonierten Bombe unweit von St. Pauls Wache hält.… Diese Menschen behalten ihren Humor, selbst wenn Tod und Verderben vom Himmel fallen. 67
    Andere Beiträge waren nachdenklich:
    Hinter den stummen Gedanken der Menschen dieses Landes verbirgt sich eine gewaltige Vitalität.… Sämtliche beliebten Zeitvertreibe der modernen Zivilisation sind durch den Krieg beeinträchtigt. Es ist kaum möglich, ins Kino zu gehen. Es gibt keine Tanzveranstaltungen, Fußballspiele oder Hunderennen. Die Menschen haben jetzt viel Zeit. Sie lesen mehr, und sie denken, wie alle traurigen Menschen, viel nach. Ein neues England wird in den U-Bahnen und Bunkern dieser tapferen Insel geboren. 68
    Und manche erzählten einfach nur Geschichten:
    »Reichen Sie mir doch bitte die Marmelade«, sagte die kleine alte Dame. Nur ein paar Stunden zuvor saß ich noch in einem kleinen Hotel in einer Stadt an der englischen Südküste beim Frühstück. In diesem Moment fingen die Luftschutzsirenen
an zu heulen, und der Mann neben meinem Ellbogen sah kurz auf die Uhr. »Ein bisschen früher als sonst heute Morgen«, bemerkte er.… Ich trank meinen Kaffee und versuchte, mich nicht zu verschlucken. Keiner um mich herum rührte sich vom Fleck. »Würden Sie mir bitte die Marmelade reichen?« , wiederholte die kleine alte Dame, dieses Mal ein wenig nachdrücklicher, als die heulende Sirene ausklang. 69
    Beiträge von US-Journalisten wurden von dem eigenen amerikanischen Programm der BBC verstärkt, das jeden Nachmittag sechs Stunden lang lief. Unter den Sendungen waren Augenzeugenberichte von der Luftschlacht sowie dramatische Inszenierungen begleitet von Soundeffekten zu finden. Die Skripte waren darauf angelegt, die Vereinigten Staaten in Richtung Krieg zu drängen, allerdings, ohne diese Absicht an die große Glocke zu hängen. Stattdessen stellten die Kommentatoren suggestive Verbindungen zwischen der Magna Charta und der US-Verfassung her, zwischen dem britischen Parlament und dem Kongress sowie zwischen dem Kampf für Freiheit in Europa und ihrem Überleben in Amerika. Unter den Berühmtheiten, die sich an der Kampagne beteiligten, war der Filmstar Leslie Howard aus Vom Winde verweht, der mit genau dem richtigen Akzent herzzerreißende Geschichten zum Besten gab, und der linksliberale Schriftsteller J. B. Priestley, der nicht vom Ruhm des Krieges, sondern von dem Dreck und Schneid der Arbeiterklasse schrieb:
    Das industrielle England kämpft diesen Krieg … jene unzähligen düsteren Städte, die halb von dichtem Rauch begraben sind, mit ihren langen, eintönigen Straßen mit Häusern, die sich aufs Haar gleichen,

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