Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)
auch noch, dass sich ihre Mutter damals weniger über die furchtbare Gefahr aufgeregt hatte, in der sich ihre Tochter befunden hatte, sondern über die spärliche Bekleidung. Ein anderes Mal detonierte eine Bombe nicht, die ganz in der Nähe eingeschlagen war. Also wurden sämtliche Gebäude im Viertel evakuiert, und ein Räumkommando traf ein. Nach einer sorgfältigen Untersuchung sagten uns die Mitglieder, dass wir uns keine Sorgen machen müssten, die Bombe sei eine Attrappe. Im Mantel hatten sie eine Notiz von tschechischen Fabrikarbeitern entdeckt. »Keine Sorge«, stand darauf. »Die Bomben, die wir bauen, werden nie explodieren.« 61
An einem Morgen Mitte September kamen die Deutschen schon früh. Mein Vater und Drtina beschlossen, die Sirenen zu ignorieren und weiter in unserer Wohnung an einem Skript zu arbeiten. Dort oben sei es ruhiger, glaubten sie, als in dem engen Kellergeschoss. Diese Annahme hatte durchaus etwas für sich, war aber – wie sich zeigen sollte – allzu optimistisch. Drtina erinnert sich:
Das Pfeifen einer nahenden Bombe war so laut, dass wir uns beide auf den Boden warfen und Dr. Körbel rasch noch unter den Tisch hechtete. Der Luftangriff war ohrenbetäubend, und unser Haus schwankte so stark, dass es mich an ein Schiff auf hoher See erinnerte. Ich hätte nie geglaubt, dass ein riesiges Gebäude aus Eisen und Beton so stark vibrieren und doch nicht auseinanderfallen konnte. Als wir uns außer Gefahr fühlten, mussten wir vor Erleichterung lachen. 62
Es fielen weitere Bomben, doch das unerschrockene Paar hatte genug. Gemeinsam stiegen sie die Treppe voller Staub zu uns in den Keller hinunter.
Die tschechoslowakische Jägerstaffel 310 wurde am 10. Juli in Duxford gebildet und trat fünf Wochen später ihren Dienst an. Die Staffel mit Sitz in Mittelengland wählte sich ein Schwert und einen Löwen als Wahrzeichen aus und als Motto »Wir kämpfen, um wieder aufzubauen«. Der Befehlshaber war Major Alexander Hess, ein Veteran des Ersten Weltkrieges, der am letzten Augusttag einen feindlichen Bomber angeschossen und zur Notlandung auf einem Acker gezwungen hatte. Voller Erregung setzte Hess mit seiner Hurricane zum Sturzflug an und war entschlossen, die dreiköpfige Crew abzuschießen. Dann zögerte er jedoch, als er sah, dass die Männer ihm zuwinkten. Er drehte noch einmal ab und rüstete sich innerlich, entschlossen, keine Überlebenden zurückzulassen. Wiederum ging die Hurricane tiefer. Diesmal hatten die Männer aus dem Flugzeug etwas Weißes geholt, das sie hochhielten, und Hess nahm mit einem Fluch auf den Lippen noch einmal den Finger vom Abzug. Als er den Vorfall meldete, jammerte der Befehlshaber: »Ich bin zu verdammt britisch geworden!« 63
Stanislav Fejfar, ein ungehobelter aber stattlicher Absolvent der tschechoslowakischen Militärakademie, schoss am 9. September sein erstes feindliches Flugzeug ab. Mit seinen eigenen Worten:
Wir flogen auf über 8000 Meter, und es war sehr kalt. Als wir einige Wolken durchstießen, konnten wir Bomber der Luftwaffe eskortiert von vielen Jägern sehen. Wir erhielten den Befehl zum Angriff, mussten aber auf die deutschen Jäger aufpassen, denn sie erblickten uns und waren über uns. Ich suchte mir eine ME-110 zum Angriff aus und gab mir das Versprechen, dass dieses deutsche Schwein heute Nacht nicht in seinem Bett schlafen werde. Ich setzte mich hinter ihn und feuerte mit allen Maschinengewehren. Er versuchte, mir auszuweichen, indem er höher stieg und wendete, aber es gelang mir, drei weitere Salven abzugeben, und er fing an zu qualmen, dann stürzte er ab. 64
Fejfar stammte aus Štikov, einer Kleinstadt am Nordrand der Tschechoslowakischen Republik, in der Nähe der polnischen Grenze. Sein Vater war im Ersten Weltkrieg beim Kampf für Österreich-Ungarn umgekommen. Der 29-jährige Pilot war ein vergnügter Mensch, flog für sein Leben gern und tat dies auch, bis zum 17. Mai 1942, als seine Spitfire bei einem Luftangriff am Tag über Frankreich getroffen wurde. Seine Überreste wurden von den Deutschen geborgen und in Calais beigesetzt. Fejfars Mutter wollte seinen Tod nie akzeptieren und starb im Jahr 1960. Ihre letzten Worte waren die Bitte, die Haustür nicht abzuschließen, denn: »Stanislav hat den Schlüssel nicht mitgenommen«. 65
Wenn sie nicht in der Luft waren, vertrieben sich tschechische und slowakische Flieger die Zeit mit Bücher- und Zeitunglesen, Plattenhören und Karten- oder Schachspielen. Zum Schlafen kamen
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