Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)
jedoch, dass sie bei bester Laune seien, obwohl sie genau wusste, dass das nicht stimmte. Die Männer schliefen in Nischen, die man in die Mauern geschlagen hatte, um die Särge von Mönchen unterzubringen. Selbst im Juni war es kalt in der Krypta. Ein paar kleine Öfen waren alles, was die Flüchtlinge zum Kochen und Heizen hatten. Die moralische Frage war ein noch größeres Problem. Die Männer bekamen Zeitungen in die Hände und wussten genau, dass als Folge des Anschlags Hunderte von Tschechen ermordet und Tausende inhaftiert und gefoltert worden waren. Gabčik und Kubiš erwogen, sich öffentlich zu den Anschlägen zu bekennen und anschließend Selbstmord zu begehen.
Anführer des Widerstands drängten sie, sich diese Gedanken aus dem Kopf zu schlagen und sich auf die Flucht zu konzentrieren. Es wurde ein Plan ausgearbeitet, nach dem vier der sieben Fallschirmspringer in einem Polizeiauto in eine Nachbarstadt gebracht werden sollten. Die anderen wollte man in Särgen versteckt in eine zweite Stadt transportieren. Anschließend sollte die ganze Gruppe zu einem geheimen Landeplatz in den Bergen geschickt werden, und von dort würde sie ein Flugzeug nach London bringen. Die Rettungsoperation wurde auf Freitag, den 19. Juni angesetzt.
An jenem Montag machte sich Frau Moravcová noch einmal mit einem Paket auf den Weg. Als sie zurückkam, sagte sie dem Hausmeister, dass sie für Mittwoch etwas Besonderes vorbereiten werde – ein Fallschirmspringer hatte Geburtstag.
Unter den charakteristischen Figuren, die in die Mauern des Veitsdoms gehauen wurden, findet sich der Teufel, wie er Judas Ischariot die Seele aus dem Mund zieht.
Karel Čurda hielt sich inzwischen seit zwei Monaten im Protektorat auf. Sein Fallschirmspringerkommando hatte die Aufgabe gehabt, Leitstrahlsender aufzustellen, die Bomber der Alliierten zu den Škoda-Werken führen sollten – eine Mission, die scheiterte. Anschließend war er nach Prag gegangen, wo er andere Fallschirmspringer traf, hatte aber mit dem Attentat nichts zu tun. Danach floh er zum Haus seiner Familie in Südböhmen, wo er sich in einer Scheune versteckte. Als die Tage und Stunden vergingen, überdachte er die Optionen, die ihm blieben. Er wusste von Lidice und den Drohungen der Nazis, weitere unschuldige Tschechen zu ermorden. Er war selbst nur knapp der Verhaftung entkommen und brachte, durch seine Anwesenheit, die ganze Familie in Gefahr. Außerdem hatte er von der reichen Belohnung gehört, die man für Informationen geboten hatte, die zu den Attentätern führten. Am 16. Juni fasste er einen Entschluss, brach nach Prag auf und ging zum Hauptquartier der Staatspolizei. Er war bereit, sein Land und seine Freunde zu verraten. Aber wie großen Schaden konnte er anrichten? Er war sich nicht einmal ganz sicher, wer von den Fallschirmspringern an der Verschwörung gegen Heydrich beteiligt gewesen war. Er hatte keine Ahnung, wo sich die Verschwörer versteckt hielten. Er kannte nur einen Namen, der eventuell von Bedeutung war, den Namen einer Frau im mittleren Alter, die vorübergehend für ihn eine Bleibe in Prag gesucht hatte, eine Frau aus dem Viertel Žižkov, die nur »Tantchen« genannt wurde: Marie Moravcová.
Noch vor Tagesanbruch hastete der deutsche Polizeichef, ein Mann namens Fleischer, am 17. Juni an der Frau des Hausmeisters vorbei und die Treppe hoch. Er drückte auf die Klingel an der Wohnung der Familie Moravec. Die Tür wurde geöffnet, die Polizei stürmte hinein und erwartete, die Mörder zu finden. »Wo sind sie?«, fragte Fleischer Marie, die mit ihrem Mann und Sohn an der Wand stand. »Ich kenne keinen Einzigen«, erwiderte sie und bat, die Toilette aufsuchen zu dürfen. Der Polizeichef lehnte ab, wurde aber wenig später aus dem Zimmer gerufen, als die Durchsuchung weiterging.
Nach der Rückkehr wollte er wissen, wo die Frau hingegangen sei. Mit einem Fluch auf den Lippen brach er die Klotür auf und fand dort Marie mit glasigen Augen, für immer verstummt. Innerhalb von wenigen Minuten hatte das Gift gewirkt; sie war tot. Ihr Mann und ihr Sohn, beide noch im Schlafanzug, wurden abgeführt und in den Keller des Palastes Peček gebracht.
Ihr Mann Alois sagte nichts und wusste vielleicht auch gar nicht, wo sich die Fallschirmspringer versteckten. Die Gestapo folterte den jungen Ata den ganzen Tag lang. Einige Stunden lang hielt er durch und weigerte sich, etwas zu sagen, als ihn aber allmählich die Kräfte verließen, verabreichten ihm die
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