Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)
deportiert. Bürger von Lidice, die zur Zeit des Massakers außer Haus waren oder Nachtschicht arbeiteten, wurden aufgespürt und gnadenlos umgebracht. Jedes einzelne Haus wurde niedergebrannt oder gesprengt, und der Friedhof wurde umgepflügt. Der Name des Ortes wurde aus den Karten gestrichen. Selbst ein Fluss wurde umgeleitet, der durch den Ort geflossen war.
Auf Bildern, die man vor der Strafaktion aufgenommen hatte, sind ein Kirchturm und steile Dächer zu sehen, ein typisches Dorf in Böhmen. Die Häuser hatten eine ordentliche Größe und waren in einem unregelmäßigen Muster an der Kuppe eines sanft ansteigenden Landstreifens an drei Seiten der Kirche angeordnet. Eine Reihe Pappeln hielt den Nordwind ab. Nach dem Massaker gemachte Aufnahmen zeigen nur eine weite Wiese, mit einem quadratischen Muster, auf der jede Vegetation vernichtet war. Es ist kein gebrochener Balken zu sehen, keine Holzkohlestücke, kein Fundament, noch andere
Anzeichen einer menschlichen Siedlung. Es gibt absolut nichts. Die Pappelreihe ließ man stehen, allerdings alle gekappt – gut einen Meter über dem Boden gefällt. Die Nazis filmten die ganze Aktion. Nach der Rückkehr nach Prag gestand ein SS-Mann einem tschechischen Übersetzer, dass sie nichts gefunden hätten, kein Mensch hätte sich dort versteckt, aber die Aktion sei großartig gewesen. 12
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Die Zerstörung von Lidice
Für die Deutschen war der Anschlag auf Heydrich eine Infragestellung ihrer Vorherrschaft, die nicht einmal durch die Vernichtung Lidices getilgt werden konnte. Aus Berlin kam der Befehl, dass die Mörder unbedingt zur Rechenschaft gezogen werden mussten. Tausende von Häusern, Geschäften und Lagerhäusern wurden
durchsucht. Hunderte potenzielle Verdächtige wurden verhaftet und verhört. Die wichtigsten Beweismittel bei der Ermittlung, die Aktentasche Gabčiks und Kubiš’ Fahrrad, wurden öffentlich ausgestellt. Jeder, der Informationen weitergab, welche die Identität der Mörder enthüllten, konnte auf die Dankbarkeit des »Führers« und eine großzügige Belohnung hoffen. Unterdessen konnte ein falsches Wort in einer Bar oder ein beiläufiger Kommentar auf der Straße den Tod bedeuten. Schon das geringste Anzeichen einer Billigung des Anschlags wurde zu einem Schwerverbrechen erklärt, für das 477 Tschechen hingerichtet wurden.
Tereza Kašperová, die Mutter eines siebenjährigen Kindes, erinnerte sich, dass »die Gestapo und die SS in der ganzen Stadt Prag Wohnungen und Häuser durchsuchten, schrieen und brüllten und überall nach den Männern suchten, die für den Anschlag verantwortlich waren«. 13 Sie durchsuchten auch ihr Haus, versäumten es jedoch, hinter dem blau-gelben Polsterkissen nachzusehen, das man zwischen ein Sofa und die Wand gequetscht hatte. Deshalb bemerkten sie nicht, dass hinter dem Kissen ein Schrank stand und dass sich in dem Schrank Leutnant Opálka versteckte.
Trotz der eifrigen Suche wurde zwischen dem Tag des Anschlags und der Zerstörung Lidices kein einziger Fallschirmspringer gefasst. Sieben wurden in Prag versteckt, darunter die vier Teilnehmer an dem Attentat (Kubiš, Gabčik, Opálka und Valčík). Der Widerstand beschloss, dass es klüger war, die Männer an einen einzigen Ort zu bringen, statt sie in verschiedenen sicheren Häusern unterzubringen, während Sicherheitspatrouillen die Stadt durchkämmten. Jan Sonnevend, der Vorsitzende der christlichen orthodoxen Gemeinde beobachtete, dass die Deutschen religiöse Gebäude bislang nicht sonderlich energisch durchsucht hatten. Er schlug die Krypta unter der Karel Boromejsky-Kathedrale als Versteck vor, eine heilige Stätte, die Kyrill und Method geweiht war, den beiden Heiligen, die den tschechischen Landen tausend Jahre zuvor das Christentum gebracht hatten.
Als Marie Moravcová überzeugt war, dass die Fallschirmspringer sicher versteckt waren, verließen sie und ihre Familie Prag für einige Tage. Ihre Reise führte sie unter anderem nach Pardubice,
dem Standort des Senders. Sie bat dort um eine Zyanidkapsel und bekam auch eine. Nach der Rückkehr nach Prag machte sie sich wieder an die Arbeit und brachte Pakete mit Lebensmitteln, Kaffee, Tabak und Kerosin zu Mittelsmännern, die dafür sorgten, dass die Pakete in die Kirche gelangten. Manchmal übernahm die Frau des Hausmeisters die Pakete; sie nahmen ständig andere Routen und wählten mehrere Orte als Treffpunkt aus.
Marie sagte niemandem, wo die Männer sich aufhielten, berichtete Bekannten
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