Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)
Vernehmungsbeamten Schnaps. Dann rollten sie ein Aquarium auf Rädern herein und entfernten – begleitet von einem grausam-bizarren Tusch – die Abdeckung. In dem Gefäß schwamm, wie Ata sehen konnte, der Kopf seiner Mutter. Da brach er zusammen und sagte alles, was er wusste: nicht etwa das Versteck der Fallschirmspringer, sondern dass Marie ihm geraten hatte, er solle sich, falls er jemals in Schwierigkeiten geraten sollte, in den Katakomben der Boromejsky-Kirche verstecken.
Es war mitten in der Nacht. In der Dunkelheit errichtete die Gestapo einen dichten Sperrgürtel und stellte Wachen auf den Dächern, sowie an jedem Kanaldeckel und Ausgang der Kanalisation auf. Über 700 bewaffnete Männer hatte man herbeordert, ihre Anweisung: die Attentäter lebend fangen.
Um 4.15 Uhr betrat die Gestapo die Kirche, nahm die Schlüssel an sich und schwärmte von einem Punkt hinter dem Altar in das heilige Gebäude aus. Sie befanden sich im Mittelschiff, als von oben Schüsse fielen, die einen SS-Mann am Arm trafen. Kubiš, Opálka und ein anderer Fallschirmspringer waren außerhalb der Krypta auf der Empore überrumpelt worden, die sich um das ganze Kirchenschiff zog. Weil sie hinter Säulen Deckung fanden und nur eine Wendeltreppe bewachen mussten, war es nicht einfach, sie zu fassen. Fast zwei Stunden lang lieferten sich die Fallschirmspringer und ihre Häscher ein erbittertes Gefecht, gingen in Deckung, sprangen hervor, wechselten einige Schüsse und versuchten, Querschlägern auszuweichen. Als verwundete Deutsche hinausgebracht wurden, schickte man neue Scharfschützen herein, die mit automatischen Gewehren
und Granaten ausgerüstet waren. Endlich hörte der Schusswechsel auf, und die blutüberströmten Leichname der Gesuchten wurden auf die Straße geschleppt, einer tot, zwei im Sterben. Der Verräter Čurda musste vortreten. Er identifizierte den Toten als Opálka, jenen Mann, mit dem er vor knapp drei Monaten abgesprungen war.
Die Gestapo kam wenig später zu dem Schluss, dass die übrigen Flüchtlinge, gleich wie viele es waren, in der Krypta unter der Kirche Zuflucht gesucht hatten. Zunächst konnten sie keinen Eingang entdecken, außer einem kleinen Belüftungsfenster in einer Höhe von über zwei Meter, das auf die Straße ging. Sie befahlen einem tschechischen Feuerwehrmann, das Glas einzuschlagen. Dann warfen sie Tränengasgranaten hinein, bedeckten die Öffnung mit einer Matratze und traten zurück. Sofort wurde die Matratze entfernt, und die Granaten flogen, gefolgt von einem Kugelhagel, wieder zurück. Die Fallschirmspringer hatten von innen eine Leiter gegen das Fenster gelehnt. Die Deutschen stellten einen Scheinwerfer auf, um die Gejagten zu blenden; doch der Strahler wurde zerschossen, bevor man ihn einschalten konnte. Der nächste Plan sah vor, die Krypta zu fluten. Feuerwehrschläuche wurden hineingeschoben, aber sie wurden, genau wie die Matratze und die Granaten, prompt hinauskatapultiert. Danach wollten die Deutschen die umliegenden Mauern durchbrechen; doch diese trotzten allen Versuchen. Als die Sonne höher stieg, gerieten die NS-Führer in Streit. Karl Hermann Frank, der Stellvertreter Heydrichs, erschien am Schauplatz. Der eigene Ruf und die Karriere standen auf dem Spiel.
Am Ende entdeckten die Deutschen den geheimen Zugang innerhalb der Kirche, über den die Fallschirmspringer in die Krypta hinuntergestiegen waren. Ein Priester in Handschellen wurde angewiesen, den Männern auf Tschechisch zuzurufen, dass sie sich ergeben sollten und dass man sie, sobald sie in Gewahrsam waren, menschlich behandeln werde. Die Antwort waren weitere Schüsse. Ein schwer bewaffneter, deutscher »Freiwilliger« wurde an einem Seil in die enge Öffnung hinabgelassen, innerhalb weniger Sekunden verwundet und rasch wieder herausgezogen. Dann wurde der Teppich zurückgeschlagen und ein Hohlraum unterhalb des Fußbodens entdeckt. Mit Dynamit sprengten die Deutschen ein Stück ab und
legten eine weitere Treppe frei. Ein Kommando wurde hinuntergeschickt und rasch zurückgeworfen. Als die Nazis sich für einen neuen Ansturm rüsteten, ertönten von unten vier Schüsse. Die Attentäter hatten ihre letzten Kugeln verbraucht.
Der Tod der Fallschirmspringer war der Auftakt zu weiteren Morden. Mit Hilfe des Verräters wurden die Funkerteams erneut zerschlagen. Das kleine Dorf Lezaky, wo der Kurzwellensender mit dem Decknamen Libuše stationiert war, erlitt das gleiche Schicksal wie Lidice. Die Familien der
Weitere Kostenlose Bücher