Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
Vom Netzwerk:
für die echten Verräter und uneingeschränkte Bewunderung für die Helden, die sich für eine mutige Handlungsweise entschieden. Was die vielen angeht, welche lieber wegsahen und den Mund hielten und alles taten, um nur ja nicht in etwas hineingezogen zu werden, so habe ich vor ihnen weder Respekt, noch fühle ich mich ihnen in irgendeiner Form überlegen. Hätte ich, unter denselben Umständen, den Mut einer Marie Moravcová bewiesen? So sehr mir der Gedanke auch gefallen würde, kann ich das nicht von mir behaupten.
    Das Attentat brachte ein gemischtes Ergebnis, war aber in meinen Augen sowohl eine mutige als auch richtige Entscheidung. Hitlers Reaktion, so brutal sie war, untergrub den Rückhalt der Nazis fast ebenso sehr wie der Tod Heydrichs. Die Deutschen hatten sich zum Ziel gesetzt, jeden Hinweis zu vernichten, dass der Ort Lidice jemals existiert hatte; aber schon wenige Wochen nach dem Massaker wurden die Namen von Städten und Wohnvierteln in den Vereinigten Staaten und einem Dutzend anderer Länder ihm zu Ehren geändert. Soldaten der Alliierten malten den Namen des Ortes auf ihre Panzer, und der Minister der US-Navy Frank Knox erklärte: »Wenn künftige Generationen uns fragen, wofür wir in diesem Krieg kämpfen, dann werden wir ihnen die Geschichte von Lidice erzählen.« 14
    Hollywood antwortete mit zwei Spielfilmen, die beide im Jahr 1943 erschienen: Hitler’s Madman mit dem linkischen John Carradine als Heydrich sowie Hangmen Also Die! (deutsch: Auch Henker sterben ). Der zweite und künstlerisch wertvollere Film war das Werk zweier deutscher Flüchtlinge: Bertolt Brecht als Drehbuchautor und
der unvergleichliche Regisseur Fritz Lang. Der Film hält sich zwar nur lose an die Tatsachen, doch das Drehbuch richtet das Augenmerk auf das reale, moralische Dilemma der Attentäter: sich selbst stellen oder auf freiem Fuß bleiben, während tschechische Geiseln hingerichtet werden. Der Film schließt mit dem Lied »No Surrender«, und einem Versprechen: Dies ist nicht das Ende.
    Noch heute wird in Filmen und Büchern an den Ort Lidice erinnert, während Hitlers Plan, ein besonderes Denkmal für Heydrich zu errichten, nie verwirklicht wurde. Im Jahr 1945 wurde das Holzkreuz auf seinem Grab entfernt; es ist nicht ersetzt worden.

18
THERESIENSTADT
    Im Februar 1997 reisten meine Schwester Kathy und mein Bruder John in die Tschechische Republik, um sich angesichts der Enthüllungen der Washington Post, wir seien jüdischer Abstammung, auf die Spurensuche zu machen. Mit Hilfe von Freunden gelang es ihnen, die meisten Informationen zu bestätigen, aber ein wichtiges Puzzleteil fehlte ihnen. In dem Zeitungsartikel wurde der Vorname unserer Großmutter mütterlicherseits falsch als Anna angegeben, statt »Rose« oder Růžena. Aus den Dokumenten der Förderation jüdischer Gemeinden in Prag ging hervor, dass mehrere Anna Spiegelovás aus der Region um Kostelec nad Orlicí nach Theresienstadt deportiert worden waren, aber keine Růžena Spiegelová.
    Die Sache blieb rätselhaft, bis John einfiel, dass er vor Jahren ein Bild von mir als Kleinkind mit einer Frau im mittleren Alter gesehen hatte, die er nicht erkannt hatte. Auf die Rückseite des Fotos war der Name eines Kurorts östlich von Prag gekritzelt, der für seine Glashütten berühmt war. Zufällig war John schon einmal in der Stadt gewesen, ohne etwas von einer Verbindung zu unserer Familie zu ahnen. Jetzt schlug er Kathy vor: »Warum schauen wir nicht nach, ob Großmutter vielleicht aus Poděbrady kam?« Gesagt, getan.
     
    Am 9. Juni 1942, dem Tag, an dem Heydrich beerdigt und Lidice zerstört wurde, stieg Růžena Spiegelová in Kolin bei Poděbrady in einen Zug, der nach Theresienstadt fuhr. Jahre zuvor hatte sie einen Laden gehabt und ihren Kunden versichert, dass der Kaffee ihrer Familie der beste in ganz Böhmen sei. Nach meiner Geburt hatte sie sich immer wieder um mich gekümmert und mich als Erste »Madlen« genannt – aus jener Zeit stammt das Bild, an das sich John erinnert hatte. In den schrecklichen Tagen nach der Invasion Hitlers hatte sie mich wiederum zu sich genommen, während meine
Eltern in Prag ständig den Ort wechselten und einen Fluchtplan ausarbeiteten. Sie war bei ihrem Ehemann gewesen, als er 1936 starb, und bei ihrer Tochter Máňa, als diese fünf Jahre später den Kampf gegen eine Nierenkrankheit endgültig verlor. Außer Fotos habe ich keine Erinnerung an Růžena; ich war damals noch zu klein. Als ich heranwuchs, dachte

Weitere Kostenlose Bücher