Winter
zu füllen? Bist du eigens aus dem großen Farbkasten der ewigen Mutter entlaufen, um mir das alte Weisheitslied von der Einheit der Gegensätze zu singen, um mich wieder zu lehren, was ich schon so oft gewußt und so oft wieder vergessen habe? Hat dich eigens eine geduldige Menschenhand so sauber präpariert und auf deinem Zweige festgeleimt, um einen kranken Mann eine einsame Stunde lang mit deinen blitzenden Spielereien zu entzücken, mit deinen stillen Träumen zu trösten? Hat man dich getötet und unter ein Glas gepreßt, damit dein verewigtes Leiden und Sterben uns tröstlich sei, so wie uns das verewigte Leiden und Sterben der großen Dulder, der echten Künstler merkwürdigerweise lieb und tröstlich ist, statt uns mit seiner Verzweiflung die Seele auszuhöhlen?
Über die schimmernden Goldflügel spielt blasser dasabendliche Licht, langsam erlischt das rötliche Gold und bald ist der ganze Zauber, von der Finsternis geschluckt, nicht mehr zu sehen. Aber er spielt dennoch das Spiel der Ewigkeit fort, das tapfere Künstlerspiel um die Dauer des Schönen – in meiner Seele spielt das Lied fort, in meinen Gedanken zucken die Farbenstrahlen lebendig weiter. Nicht vergeblich ist der arme schöne Falter in Madagaskar gestorben, nicht vergeblich hat eine ängstliche Hand seine Flügel und Fühlhörner und Sammetpelzchen so sauber präpariert und unvergänglich gemacht. Lange noch wird der kleine einbalsamierte Pharao mir aus seinem Sonnenreich erzählen, und wenn er längst zerfallen ist und auch ich längst zerfallen bin, dann wird irgendwo in einer Seele noch etwas von seinem seligen Spiele und weisen Lächeln blühen und wird sich weiter vererben, so wie das Gold des Tutenchamun noch heute glänzt, und das Blut des Heilands noch heute fließt.
(1927)
/ WINTERTAG /
O wie schön das Licht
Heut im Schnee verblüht,
O wie zart die rosige Ferne glüht! –
Aber Sommer, Sommer ist es nicht.
Du, zu der mein Lied allstündlich spricht,
Ferne Brautgestalt,
O wie zart mir deine Freundschaft strahlt! –
Aber Liebe, Liebe ist es nicht.
Lang muß Mondenschein der Freundschaft blühn,
Lange muß ich stehn im Schnee,
Bis einst du und Himmel, Berg und See
Tief im Sommerbrand der Liebe glühn.
/ / DER KAVALIER AUF DEM EISE
Damals sah mir die Welt noch anders aus. Ich war zwölfeinhalb Jahre alt und noch mitten in der vielfarbigen, reichen Welt der Knabenfreuden und Knabenschwärmereien befangen. Nun dämmerte schüchtern und lüstern zum ersten Male das weiche Ferneblau der gemilderten, innigeren Jugendlichkeit in meine erstaunte Seele.
Es war ein langer, strenger Winter, und unser schöner Schwarzwaldfluß lag wochenlang hart gefroren. Ich kann das merkwürdige, gruselig-entzückte Gefühl nicht vergessen, mit dem ich am ersten bitterkalten Morgen den Fluß betrat, denn er war tief und das Eis war so klar, daß man wie durch eine dünne Glasscheibe unter sich das grüne Wasser, den Sandboden mit Steinen, die phantastischverschlungenen Wasserpflanzen und zuweilen den dunklen Rücken eines Fisches sah.
Halbe Tage trieb ich mich mit meinen Kameraden auf dem Eise herum, mit heißen Wangen und blauen Händen, das Herz von der starken rhythmischen Bewegung des Schlittschuhlaufs energisch geschwellt, voll von der wunderbaren gedankenlosen Genußkraft der Knabenzeit. Wir übten Wettlauf, Weitsprung, Hochsprung, Fliehen und Haschen, und diejenigen von uns, die noch die altmodischen beinernen Schlittschuhe mit Bindfaden an den Stiefeln befestigt trugen, waren nicht die schlechtesten Läufer. Aber einer, ein Fabrikantensohn, besaß ein Paar »Halifax«, die waren ohne Schnur oder Riemen befestigt und man konnte sie in zwei Augenblicken anziehen und ablegen. Das Wort Halifax stand von da an jahrelang auf meinem Weihnachtswunschzettel, jedoch erfolglos; und als ich zwölf Jahre später einmal ein Paar recht feine und gute Schlittschuhe kaufen wollte und im Laden Halifax verlangte, da ging mir zu meinem Schmerz ein Ideal und ein Stück Kinderglauben verloren, als man mir lächelnd versicherte, Halifax sei ein veraltetes System und längst nicht mehr das beste.
Am liebsten lief ich allein, oft bis zum Einbruch der Nacht. Ich sauste dahin, lernte im raschesten Schnellauf an jedem beliebigen Punkte halten oder wenden, schwebte mit Fliegergenuß balancierend in schönen Bogen. Viele vonmeinen Kameraden benutzten die Zeit auf dem Eise, um den Mädchen nachzulaufen und zu hofieren. Für mich waren die Mädchen nicht vorhanden. Während
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