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Winter

Winter

Titel: Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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hatten. Es standen drei Schachteln mit guten Zigarren da, das war tröstlich, und etwas Wein und Kognak, damit würde ich mir die Abende vertreiben. Der neue Federhalter war sehr schön, aber doch nicht recht geeignet, ihn ans Herz zu drücken und sich der Wonne seines Besitzes hinzugeben.
    Ein Stück aber gab es, ein Geschenk, das war wirklich festlich, wirklich außerordentlich und zauberhaft, das konnte man in stillen Augenblicken hervorholen und mit Entzücken betrachten, in das konnte man sich vergucken und verlieben. Das holte ich hervor und setzte mich damit ans Fenster. Es war, unter Glas und hübsch montiert, ein herrlicher exotischer Schmetterling, er trug den schönen Namen Urania und kam aus Madagaskar hergeflogen. Der schön gebaute Falter mit schlanken kräftigen Seglerflügeln und reichem Zackenwerk am unteren Flügel saß leicht schwebend auf einem Zweige; der oben grün und schwarz gestreifte Leib war unten rostrot behaart,goldgrün glänzte das Köpfchen. Grün und schwarz gemustert waren die oberflügel, und zwar war es auf der Schauseite ein prächtiges, warm und golden strahlendes Grün, auf der Rückseite aber ein ganz kühles, zartes, silbern beflogenes Veronesergrün, in dem die kristallenen Flügelrippen edel schimmerten. Die unteren Flügel aber, die phantastisch gezackten, zeigten außer dem grün und schwarzen Muster ein großes, strahlendes Feld von tiefem Gold, das im Licht bis ins Kupferrote, ja bis ins Scharlachene spielte, launig gezeichnet von tiefschwarzen Flecken, und zuunterst war der Flügel, wie das Kleid einer Dame, am Saum mit einem feinen, kurzen, aus Blond und Schwarz gemischten Pelzchen besetzt. Außerdem aber hatte dieser Unterflügel noch ein besonderes Spiel und Merkmal: es war durch ihn eine kurze träumerische Zickzacklinie gezogen, aus reinem Weiß, die löste den ganzen Flügel gewissermaßen auf, machte ihn zu einem losen Spiel aus Luft und Goldstaub und schien jene phantastischen Zacken wie Strahlen kraftvoll von sich zu stoßen. Etwas Prächtigeres, Geheimnisvolleres, und Liebenswürdigeres als diesen Falter aus Madagaskar, als diesen luftigen afrikanischen Traum aus Grün, Schwarz und Gold hätte man auf den Weihnachtstischen der ganzen Stadt nicht finden können. Zu ihm zurückzukehren war eine Freude; sich in seinen Anblick zu versenken ein Fest.
    Eine lange Weile saß ich über den Fremdling ausMadagaskar gebückt und ließ mich von ihm bezaubern. An Vieles erinnerte er mich, an Vieles mahnte er mich, von Vielem erzählte er mir. Er war ein Gleichnis der Schönheit, ein Gleichnis des Glückes, ein Gleichnis der Kunst. Seine Form war ein Sieg über den Tod, sein Farbenspiel ein Lächeln der Überlegenheit über die Vergänglichkeit. Er war ein einziges vielstrahliges Lächeln, dieser präparierte tote Falter unterm Glas, ein Lächeln von vielen Arten, bald schien es mir kindhaft, bald uralt und weise, bald kriegerisch schmetternd, bald schmerzlich-spöttisch – so lächelt die Schönheit immer, so lächeln alle Gestaltungen, in denen das Leben scheinbar zu einer Dauer geronnen, die Schönheit des ewig Fließenden Form geworden ist, sei es nun eine Blume oder ein Tier, ein ägyptischer Kopf oder die Totenmaske eines Genies. Es war überlegen und ewig, dieses Lächeln, und war, wenn man sich daran verlor, plötzlich auch spukhaft wild und irr, es war schön und grausam, sanft und gefährlich, voll höchster Vernunft und voll wildester Tollheit. Überall, wo das Leben für einen Augenblick vollkommen gestaltet erscheint, hat es diese gegensätzlichen Aspekte. Es gibt keine edle Musik, die nicht zu manchen Stunden wie Kinderlächeln und zu andern Stunden wie tiefste Todestrauer auf uns wirkte. So ist die Schönheit immer und überall: holde Spiegeloberfläche, unter welcher verborgen das Chaos lauert. So ist das Glück immer und überall: entzückter Augenblick, im Aufstrahlenschon wieder erbleichend, hingeweht vom Hauch des Sterbenmüssens. So ist die hohe Kunst, die hohe Weisheit der Auserwählten immer und überall: wissendes Lächeln über Abgründen, Jasagen zum Leid, Spiel der Harmonie über dem ewigen Todeskampf der Gegensätze.
    Süß blickte aus dem Goldglanz der verfließende Purpur, straff spannte sich über die Flügelrippen die feste schwarzgrüne Zeichnung, spielend zielten die schlanken Farbenzacken ihre Lichtpfeile hinaus. Holder Gast du, entzückender Fremdling! Bist du eigens aus Madagaskar hergeflogen, um mir einen Winterabend mit Farbenträumen

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