Winterfest
zitterten, als sie den Schlüssel ins Zündschloss steckte. Sie startete den Motor nicht, sondern ließ ihren Gefühlen freien Lauf. Sie schluchzte und schnappte nach Luft, ohne richtig zu wissen, wieso sie jetzt so reagierte, aber sie empfand es als schweren Verrat, dass Tommy den Teil seines Lebens, den sie nicht ausstehen konnte, in ihre Wohnung geholt hatte.
Sie presste die Hand an die Brust. Ihr Atem ging tief und rasselnd und sie brauchte einige Zeit, um ihn unter Kontrolle zu bringen. Aber schließlich hatte sie sich wieder beruhigt. Sie schluckte und nahm ein Papiertaschentuch aus dem Handschuhfach, putzte sich die Nase und trocknete sich die Augen.
Es fiel ihr schwer, ihre Gedanken zu sammeln. Sie konnte in die Redaktion fahren, nur um die Zeit totzuschlagen, aber nach einem Blick in den Spiegel wusste sie, wenn sie so verheult dort auftauchte, würde das nur viele lästige Fragen auslösen.
Durch die regennasse Frontscheibe sah sie Tommy aus dem Haus kommen. Er telefonierte und blickte nicht in ihre Richtung. Stattdessen überquerte er die Straße im Laufschritt und stieg in den kleinen blauen Peugeot, mit dem er sie draußen in der Hütte besucht hatte.
Als er vom Bürgersteig auf die Straße bog, startete sie den Motor und wartete, bis er beinahe außer Sichtweite war, ehe sie ihm folgte.
Sie war drei Autos hinter ihm, als er auf den Ullevålsveien bog, ohne genau zu wissen, was sie tat.
Er fuhr ein bisschen kreuz und quer Richtung Stadtmitte, und schließlich kamen sie nach Gr ø nland. Line blieb immer hinter ihm, während er sich durch Einbahnstraßen pirschte. Die ganze Zeit achtete sie darauf, so weit hinter ihm zu bleiben, dass er sie nicht entdeckte.
Am Ende der T ø yengata war der Abstand zwischen ihnen ziemlich groß, und als er auf den Parkplatz vor dem Botanischen Garten fuhr, bog sie auf das Gelände des Munch-Museums und parkte hinter einem Containergebäude, in dem sich die Abteilung für moderne Kunst befand.
Der Abstand zwischen ihr und Tommy betrug fast zweihundert Meter. Sie sah, dass er hinter einem anderen Auto geparkt hatte und ausstieg, aber nicht, ob in dem zweiten Auto jemand saß.
Sie griff zum Fotoapparat und zoomte heran. Die Tür des zweiten Autos ging auf und ein dunkelhäutiger Mann stieg aus. Aus alter Gewohnheit drückte sie auf den Auslöser.
Der Mann ging um das Auto herum und begrüßte Tommy mit Handschlag, bevor er den Kofferraum öffnete. Er nahm eine Tasche heraus, setzte sie auf der Ladekante ab und zog den Reißverschluss auf. Tommy beugte sich vor, prüfte den Inhalt und nickte. Der Mann machte die Tasche wieder zu und übergab sie Tommy. Sie schien schwer zu sein. Tommy ging mit der Tasche zu seinem Auto und stellte sie auf den Rücksitz, dann setzte er sich ans Steuer.
Line rutschte tiefer in den Sitz. Die Container verbargen ihr Auto teilweise, aber es war durchaus möglich, dass Tommy sie trotzdem entdeckte.
Sie hörte sein Auto vorbeifahren und wartete einen Moment, bevor sie wieder hochkam. Seine Rücklichter verschwanden und sie beeilte sich, zu wenden und ihm zu folgen.
Nach ein paar Hundert Metern sah sie ihn, er war drei Autos vor ihr. Er fuhr denselben Weg zurück, den er gekommen war, aber im Kreisverkehr an der Galleri Oslo ordnete er sich Richtung Hauptbahnhof ein und fuhr bei Bispelokket auf die E 18 Richtung Osten. Zwei weitere Autos klemmten sich zwischen sie und Tommy und sie fürchtete schon, ihn in dem dichten Verkehr zu verlieren, aber da bog er abrupt ab und fuhr auf das Hafengelände. Sie ließ sich von ein paar Lieferwagen und einem Zementlaster überholen, damit er sie nicht entdeckte, und folgte ihm weiter am Wasser entlang Richtung S ø renga und dem Gebiet, in dem ein neuer Stadtteil entstehen sollte. Bei Sjurs ø ya bog Tommy auf das Kaigelände ein.
Er fuhr in eine große Lagerhalle direkt unten am Wasser. Baukräne ragten in den grauen Himmel. Line hielt hinter einem Stapel Stahlröhren, die auf einer Palette lagerten, und hatte einen guten Ausblick auf das Gelände.
Ein paar osteuropäische Bauarbeiter waren direkt neben ihr mit dem Einsammeln von Eisenschrott beschäftigt, schienen aber keine Notiz von ihr zu nehmen.
Mehrere Minuten lang starrte sie auf das Tor der Lagerhalle, in der Tommy verschwunden war. Containertrucks und Hafentraktoren fuhren aus und ein, aber ansonsten passierte nichts.
Sie fühlte sich nicht gut. Ihre Hände waren verschwitzt und ihr war ein bisschen schwindlig. Sie hätte am liebsten laut
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