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Winterfest

Winterfest

Titel: Winterfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jørn Lier Horst
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Herbstsonne wirkte das Wetter grauer und trister denn je.
    Tommy hatte sich nicht gemeldet. Er hatte auch nicht abgenommen, als sie versuchte, ihn anzurufen. Sie musste mit ihm reden. Sie hatte sich entschieden. Er war nicht der Mann, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte, und sie musste es ihm sagen.
    Sie drehte sich um und ging hinüber in die Küche, spülte ein paar Teller ab und kehrte zurück zum Fenster. Der Nebel lichtete sich ein wenig, jetzt konnte sie gerade eben das Meer sehen.
    Das Handy lag auf dem Couchtisch. Sie ließ sich aufs Sofa fallen und versuchte noch einmal, Tommy anzurufen, aber wieder ohne Erfolg. Der leere Bildschirm ihres Laptops leuchtete ihr entgegen. In den vergangenen zwei Tagen hatte sie mehr gelöscht als an ihrem Roman geschrieben.
    »Scheiße!«, rief sie in den Raum hinein.
    Es war ein gutes Gefühl, ein bisschen Frust abzulassen. Sie fluchte noch einmal und klappte den Deckel ihres Laptops energisch zu. Dann stand sie auf und zog ihre Jacke an.
    Als sie den Schlüssel ins Schloss steckte, um abzuschließen, schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf und sie ging noch einmal in die Hütte zurück. Sie packte Laptop und Fotoapparat in eine Tasche und sah sich nach anderen Dingen um, die einen Einbrecher interessieren könnten, dann nahm sie die Tasche mit zum Auto.
    Eine leere Flasche, die Tommy hinterlassen haben musste, rollte auf dem Boden vor dem Beifahrersitz hin und her, während der Wagen über den buckligen Feldweg rumpelte. Sie lag dort neben leeren Kekstüten und alten Parkscheinen, die an der Gummimatte klebten. Line merkte, wie alles an Tommy sie im Moment ärgerte.
    Der Nebel lichtete sich immer mehr, je weiter sie landeinwärts fuhr, aber ein kalter Regen sorgte für schlechte Sicht. Die Scheibenwischer taten nichts anderes, als das Wasser von einer Seite zur anderen zu schieben, und machten die Fahrt nach Oslo zu einer mühsamen Angelegenheit. Noch bevor sie ihre Wohnung erreichte, hatte sich hinter ihrem rechten Auge ein intensiver Kopfschmerz eingenistet.
    Sie schlug die Autotür hinter sich zu und blickte die Fassade hinauf. Die Deckenlampe in der Küche brannte, aber wie sie Tommy kannte, war er zu Bett gegangen, ohne das Licht auszuschalten, und schlief immer noch.
    Tommy steckte den Kopf aus der Küche, als sie die Wohnungstür aufschloss.
    »Line?«
    Sie setzte die Tasche ab und ging auf ihn zu. »Wieso gehst du nicht ans Telefon, wenn ich anrufe?«
    Tommy warf einen Blick über die Schulter und sie sah, dass er nicht allein war. Ein langhaariger Mann stand über den Küchentisch gebeugt und blickte zu ihr hoch. Vor ihm lagen Fotos und Papiere ausgebreitet. Tommy stand in der Türöffnung und ließ sie nicht in die Küche.
    »Ich bin im Moment beschäftigt«, versuchte er zu erklären.
    Der Mann hinter ihm hatte es auf einmal eilig. Hastig sammelte er die Papiere auf dem Tisch zusammen und stopfte sie in eine Umhängetasche.
    »Was geht hier vor?«, wollte Line wissen.
    Der Mann mit der Umhängetasche drückte sich an Tommy vorbei. »Ich muss jetzt auch los«, sagte er, ohne Line zu beachten.
    »Wer war das?«, fragte sie und blickte zur Wohnungstür, die sich hinter ihm schloss.
    »Ich kann nicht …«, begann Tommy, unterbrach sich aber selbst: »Das hat mit dem Shazam zu tun.«
    Line ging in die Küche und lehnte sich gegen die Anrichte.
    »Worum ging es?«, fragte sie und nickte zu dem leeren Küchentisch.
    »Im Moment passiert eine ganze Menge«, versuchte Tommy zu erklären. »Deshalb hatte ich noch keine Zeit, dich zurückzurufen. Ich kann dir das aber jetzt nicht alles erklären.«
    »Du könntest es versuchen«, forderte Line ihn heraus.
    »Nicht jetzt. Ich muss erst noch ein paar Dinge erledigen.« Er griff zu seiner Jacke, die über dem Stuhlrücken hing. »Bleibst du jetzt hier? Ich meine, war’s das mit deinen Hüttenferien?«
    Sie schüttelte resigniert den Kopf. »Weißt du was? Das hier ist …«
    »Ich brauche nur noch ein paar Tage«, fiel Tommy ihr ins Wort. »Das regelt sich alles. Kannst du nicht ein bisschen Geduld mit mir haben?«
    »Ich bin mit meiner Geduld am Ende«, sagte Line und ging zur Tür. »Ich fahre jetzt wieder, und wenn ich zurückkomme, bist du ausgezogen. Raus und weg.«
    »Aber …«
    Sie hob die flache Hand zum Zeichen, dass sie nichts mehr hören wollte. Dann drehte sie sich um, nahm ihre Jacke und verließ die Wohnung. Tränen stiegen ihr in die Augen und sie wollte nicht, dass er es sah.

64
    Ihre Hände

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