Winterfest
gaben, was passiert war, aber die Ermittler wussten nie im Voraus, was für Spuren auftauchen würden, und sie konnten sich nicht auf die Beschaffung von Indizien verlassen. Den taktischen Ermittlungen kam großes Gewicht zu.
Sie brauchten auch eine Strategie für die Medien. Bis auf Weiteres bestand sie aus zwei Stichworten: Offenheit und Ehrlichkeit.
Es würde die erste Pressekonferenz unter der Leitung von Christine Thiis sein. Von dem Zeitpunkt an, und bis zum Abschluss des Falles, trug sie die offizielle Verantwortung. Es würde eine steile Lernkurve sein und Wisting hoffte, dass sie dem gewachsen war. Ein Toter in der Ferienhütte eines der bekanntesten Fernsehprominenten des Landes – das würde in den Medien wie eine Bombe einschlagen.
Er versuchte noch einmal, Thomas R ø nningen anzurufen, aber nach dem x-ten Klingelsignal sprang wieder die Mailbox an und bat um die Hinterlassung einer Nachricht. Wisting legte auf und schrieb stattdessen eine kurze SMS.
Dann stand er von seinem Bürostuhl auf und streckte sich. Er ging aus dem Zimmer und durch den Flur hinüber zum Besprechungsraum, wo eine halb volle Kanne Kaffee in der Kaffeemaschine stand. Er nahm eine Tasse aus dem Regal, schenkte ein und blickte zur Tür, als er Schritte im Flur hörte.
Espen Mortensen tauchte auf. Wisting reichte ihm die Tasse und nahm sich eine neue.
»Schon fertig mit dem Tatort?«
Der Kriminaltechniker schüttelte den Kopf und trank einen Schluck. »Wir haben die Leiche abtransportiert. Ich muss noch ein paar Fotos machen und den Fundbericht für die Rechtsmedizin schreiben. Ich habe einen Termin mit der ID-Gruppe von Kripos gemacht. Sie werden bei der Obduktion dabei sein.«
Sie setzten sich an den Konferenztisch.
»Hast du noch mehr herausgefunden?«, erkundigte sich Wisting.
Mortensen nickte. »Es ist nicht so, wie wir zuerst dachten.«
Wisting sah ihn an.
»Er wurde angeschossen«, erklärte Mortensen. »Als wir ihn umdrehten, fanden wir eine große Einschusswunde in der Magengegend.«
Wisting sah den blutigen Eingangsbereich der Hütte vor sich, wo der Mann gelegen hatte. Blut, das auf die Treppe getropft und auf dem Türblatt verschmiert war. Die blutigen Handschuhe und die Blutlache unter der Leiche.
»Er wurde angeschossen, bevor er die Hütte betreten hatte«, vermutete Wisting. »Wir haben demnach einen unbekannten Tatort.«
Mortensen bestätigte: »Die Schüsse sind woanders gefallen. Er hat es bis zur Hütte geschafft, wo der Kampf weiterging. So, wie das Blut an die Wände gespritzt ist, hat er mindestens drei Schläge abbekommen.«
»Ist die Waffe gefunden worden?«
Espen Mortensen erhob sich. »Nein, weder die Schlagwaffe noch die Schusswaffe.« Er ging mit der Tasse in der Hand zur Tür. »Schwierig zu sagen, was ihn umgebracht hat. Er wurde angeschossen und anschließend zusammengeschlagen. Er könnte an den Schusswunden verblutet sein, es ist aber auch möglich, dass die Schläge zum Tod geführt haben. Und es ist nicht gesagt, dass derjenige, der auf ihn geschossen hat, auch derjenige ist, der ihn erschlagen hat.«
Wisting blieb sitzen und blickte dem jungen Kriminaltechniker nach. Der Fall hatte eine neue Ebene der Kompliziertheit erreicht.
8
Line hatte keine Lust gehabt, schlafen zu gehen, aber irgendwann war sie so müde gewesen, dass sie sich auf das Sofa gelegt und mit einer Wolldecke zugedeckt hatte.
Das Handy weckte sie. Die Uhr auf dem Display zeigte 04.23 Uhr. Der Nacken tat ihr weh, ihre Kehle war trocken.
Sie dachte, es wäre Tommy, der eine der üblichen Nachrichten schickte, dass es leider später geworden sei, er aber nun bald nach Hause komme. Doch sie irrte sich.
Es war eine Rotmeldung von NTB. Das war ein Newsfeeder, den sie abonniert hatte, um über die wichtigsten Neuigkeiten informiert zu sein. Sie nannten es ›Rotmeldung‹, weil der Text, wenn er über die großen Monitore in der Redaktion lief, rot leuchtete. Es war immer toll, wenn eine Meldung, an der die Journalisten arbeiteten, in der Öffentlichkeit einschlug und die Zeitung in einer Eilmeldung der Nachrichtenagentur erwähnt wurde.
Sie starrte blinzelnd auf das Display: NTB – Polizei in Vestfold bestätigt Aufnahme von Mordermittlung nach Leichenfund in Ferienhütte. Bewaffnete Einheiten suchen mit Hunden und Helikoptern nach dem Täter.
Sie setzte sich auf und öffnete ihren Laptop, um nachzusehen, was ihre Zeitung über den Fall brachte. Sie hatten bereits ein dramatisches Foto von einem bewaffneten
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