Winterkill
Gerichtsmediziner, wie man sie im Fernsehen sieht. Die können zaubern. Ich bin nur ein gewöhnlicher Sterblicher.« Er lächelte sie an. »Wann jagst du endlich deinen Verlobten zum Teufel und gehst mit mir aus, Karen? Ich würde dir die ganze Welt zu Füßen legen.«
»Chicago reicht mir voll und ganz.« Auch um ihre Lippen spielte ein Lächeln, das aber gleich wieder verschwand. »Ruf mich an, wenn du was findest. Oder noch besser: Ich komme morgen früh bei dir vorbei.«
»Du bist mir immer willkommen.«
»Wenn du glaubst, dass ich dir einen Espresso und ein Croissant mitbringe, täuschst du dich, Jerry. Ein Verlobter reicht mir, das kannst du mir glauben.« Sie ließ ihn genauso stehen wie den Uniformierten und wandte sich an die Kollegin von der Crime Scene Unit, die eine Umhängetasche und eine weiße Einkaufstasche vom Nike-Shop für sie bereithielt. »Die Taschen der Toten?«
»Ja, Lieutenant«, erwiderte die junge Frau. »Die Umhängetasche lag neben ihr, die Einkaufstasche hat ein Kollege auf der Treppe im Hausflur gefunden. In einem der oberen Stockwerke.«
Havelka blickte in die Papiertüte und sah ein neues Paar Laufschuhe, das Modell, das ständig in der Fernsehwerbung kam und wahrscheinlich doppelt so viel kostete wie ihre einfachen Treter. In der Handtasche fand sie Kosmetika, einen Hausschlüssel, allerlei Krimskrams und eine Brieftasche mit Scheckbuch, Bargeld und etlichen Kreditkarten. Auf dem Führerschein stand ihr Name: Candice Morgan. Wahrscheinlich nannte man sie Candy. Auf einem gefalteten Briefumschlag mit der Rechnung von einem Wellness-Zentrum fand sie ihre Adresse. Eines der neuen Apartmenthäuser in Streeterville.
Sie gab der Kollegin der Crime Scene Unit die Taschen zurück und notierte Namen und Adresse der Toten. Noch während sie schrieb, wandte sie sich an den Türsteher, der fröstelnd vor der gläsernen Doppeltür stand. »Lieutenant Havelka, Chicago Police«, stellte sie sich vor. Der Mann nannte seinen Namen. »Kannten Sie die Tote, Mister?«
Der Türsteher war froh, dass er endlich an der Reihe war, und gab bereitwillig Auskunft. »Nein, Ma’am, sie wohnte nicht hier. Ich kenne alle Mieter in diesem Haus. Aber hier wohnen einige vermögende Singles, und es könnte natürlich sein, dass sie mit einem dieser Gentlemen befreundet war. Die Herren wechseln ihre Damen relativ häufig. Obwohl sie mir nicht den Eindruck machte … nun, sie war keines dieser jungen Dinger, die sich einem reichen Mann an die Brust werfen. Sie wirkte … wie soll ich sagen … irgendwie elegant. Sie war gut gekleidet. Teurer Mantel …«
»Gut gekleidet?« Havelka blickte ihn verwundert an. Die wenigsten Selbstmörderinnen zogen ihre beste Kleidung zum Sterben an. »Warum nahm sie die Treppe? Warum nicht den Aufzug?«
»Der Aufzug wurde gerade repariert. Ich sagte ihr, es würde ungefähr noch eine halbe Stunde dauern, dachte mir, sie würde vielleicht lieber einen Kaffee trinken und warten, bis die Handwerker gegangen waren, aber sie ließ sich nicht aufhalten.«
Er beobachtete, wie sie den Zinksarg mit der Leiche in einen Wagen schoben, und schüttelte den Kopf. »Grauenvoll. Als sie auf den Gehsteig fiel, dachte ich zuerst, jemand hätte einen Stein vom Dach geworfen. Irgendwelche Rabauken, obwohl wir solche Typen hier nicht reinlassen.« Er bekam feuchte Augen. »Dann sah ich sie liegen. Ein grauenvoller Anblick. Eben noch jung und schön, und im nächsten Moment … Warum hat sie das getan?«
»Das versuchen wir herauszufinden. Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen? Wirkte sie verstört … durcheinander?«
»Jetzt, wo Sie’s sagen«, erwiderte er mit gerunzelter Stirn. »Sie kam mir tatsächlich ein wenig seltsam vor. Da war irgendwas mit ihren Augen. Ich weiß, es klingt komisch, aber sie wirkten zu kalt für ihr schönes Gesicht. VerstehenSie mich nicht falsch, sie war freundlich, aber irgendwie leer … nun ja, vielleicht war sie auch nur erschöpft.«
Havelka reichte dem Mann ihre Karte, falls ihm noch etwas einfiel, und wandte sich an einen der beiden Detectives, die ebenfalls am Tatort waren. Sie berichtete ihm, was der Türsteher gesagt hatte. »Lassen Sie sich die Namen dieser Männer geben und checken Sie, ob sie einen von ihnen kannte. Ich nehme an, ein Freund oder Lover wäre längst hier, aber man kann nie wissen. Solange wir nicht sicher wissen, dass es sich um Selbstmord handelt, ermitteln wir wie in einem Mordfall. Ich habe ein ungutes Gefühl bei der Sache. Klappern
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