Winterkill
Sie die anderen Bewohner ab, wenn Sie bei den Singles nicht fündig werden.« Sie drückte eine der beiden Glastüren nach innen. »Ich bin bei Sergeant Dexter auf dem Dach, wenn jemand nach mir fragen sollte.« Sie drehte sich noch einmal um. »Kein Wort zur Presse, okay?«
Sie stieg in den Aufzug und fuhr in den zwanzigsten Stock hinauf. Die Metalltür zum Dach stand offen. Der stetige Wind wirbelte ihr Schnee ins Gesicht. Sie hielt den rechten Unterarm vors Gesicht und fluchte ungeniert. »Scheißwetter! Sergeant, wo stecken sie?«
»Hier, Lieutenant!«, kam die knappe Antwort. Der Chef der Crime Scene Unit, ein untersetzter Mann mit militärischem Haarschnitt, wartete bei den Kaminen. »Scheußliches Wetter, was?«
»Was haben Sie gefunden?«
»Nichts«, sagte er.« Er deutete auf den schneebedeckten Boden. »Seit sie hier oben war, ist ’ne ganze Menge Schnee gefallen, aber man kann ihre Spuren noch deutlich sehen. Sie war allein hier oben, Lieutenant. Sie ging geradewegs zum Rand und sprang in die Tiefe. Einen besseren Beweis für einen Selbstmord als ihre Spuren gibt es nicht. Sie warallein und zögerte keinen Augenblick. Die Frau wollte sterben.«
»Warum sollte eine junge, hübsche Frau, die sich anscheinend jeden Wunsch erfüllen kann, Selbstmord begehen?«, fragte Havelka. »Und warum klettert sie zu Fuß in den zwanzigsten Stock, nur um von diesem Dach zu springen? Warum schneidet sie sich nicht die Pulsadern auf ? Warum wirft sie sich nicht vor einen Bus? Warum macht sie sich das Sterben so schwer?«
Sergeant Dexter zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Warum fährt einer auf die Gegenfahrbahn und reißt ein halbes Dutzend anderer Menschen in den Tod, wenn er sterben will? Selbstmörder tun seltsame Dinge. Vielleicht wollte sie nur Aufmerksamkeit erregen.«
»Wenn sie das wollte, ist es ihr vortrefflich gelungen. Was Besseres hätte Channel 7 nicht passieren können. Von so was leben die eine ganze Woche.«
Havelka bedankte sich und fuhr ins Parterre zurück. Bevor sie in ihren Wagen stieg und ihre Detectives den Rest erledigen ließ, wandte sie sich noch einmal an den Medical Examiner: »Noch was, Jerry. Untersuch sie auf Drogen. Der Türsteher sagt, ihre Augen wären seltsam leer gewesen. Könnte sein, dass sie high war, als sie in den Tod stürzte. Vielleicht hat ihr jemand was gegeben und ihr befohlen vom Dach zu springen. So was gibt’s.«
»Im Kino … ja.«
»Wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, Jerry. Wie gesagt, ich hab ein komisches Gefühl bei der Sache.« Sie grinste. »Weibliche Intuition.«
»Auch das noch.«
»Bis morgen, Jerry.« Sie steckte ihren Notizblock ein und ging zum Wagen.
2
Sarah versank bereits in einem tiefen schwarzen Loch, als eine starke Hand nach ihr griff und sie gerade noch rechtzeitig auf den Gehsteig zog. Sie hing für einen Moment reglos in den Armen ihres Retters und öffnete erst die Augen, als der fluchende Fahrer des Lieferwagens bereits einen halben Block weiter war.
Das Gesicht des Mannes war so nahe, dass sich ihre Nasen beinahe berührten. Sie blickte in blaue Augen, so klar und tief wie ein Bergsee in den Rocky Mountains, und spürte seinen Atem wie einen sanften Wärmehauch, der sogar die eisige Luft und die wirbelnden Flocken vertrieb. Ein junger Mann mit dunklen Haaren, die unter der Kapuze seines dunkelroten Anoraks hervorragten. Als er lächelte, sah sie, dass seine Zähne weißer als der Schnee waren.
Obwohl die Gefahr längst vorüber war, hielten sie einander noch fest wie zwei Schiffbrüchige, die in einem Sturm zueinander gefunden hatten und sich aneinanderklammerten. Sarah sah weder das spöttische Lächeln einiger Passanten oder den anerkennenden Blick eines Mädchens, noch hörte sie den Verkehrslärm und die heulende Sirene eines weiteren Streifenwagens, der auf die Michigan Avenue bog und nach Norden raste.
»Danke … vielen Dank«, flüsterte sie, als sie in seinen blauen Augen zu versinken drohte. Sie löste sich nur widerwillig von ihm. »Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Ich … ich hab wohl nicht aufgepasst.« Sie lächelte unbeholfen. »Du hast mir das Leben gerettet.«
»Das war dein Schutzengel«, erwiderte er. »Er hat dafür gesorgt, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort war.«Er griff nach ihren Händen und zog sie von der Straße weg. »Glaubst du an Engel?«
»Jetzt schon«, sagte sie. In der Kälte fiel es nicht auf, dass sie ein wenig errötete. »Ich bin Sarah … Noch mal
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