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Winterkind

Winterkind

Titel: Winterkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Mer
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ihr aus den geschlossenen Augen.
    Eine Hand berührte ihre Wange, eine kleine, kalte Hand. Sie strich die Tränen fort.
    Blanka blinzelte. Die Dunkelheit wich einen Schritt weit zurück. Zwei Gesichter tauchten langsam daraus auf, zwei Gesichter, die über ihr schwebten. Eines sehr nah und eines sehr weit entfernt. Eines ganz weich, lebendig, mit hellen Augen zwischen schwarzen Wimpern, die sie flehentlich ansahen. Und das andere – das andere trug ein Lächeln aus Stein.
    Sie erkannte sie beide.
    „Johanna“, flüsterte Blanka. „Johanna, mein Liebling.“
    „Mama, oh, Mama!“
    Das weiche, lebendige kleine Gesicht kam näher, schmiegte sich heftig an ihres. Sie fühlte die kalte Haut und die Wärme, die darunter war. Ja, es war Johanna. Johanna, ganz dicht bei ihr. Johanna atmete an ihrem Hals, so lebendig, so wirklich. Und sie selbst lag auf dem Rücken im Schnee, ohne zu wissen warum, und in ihrer Stirn pochte es, wie von Schmiedehämmern.
    Das steinerne Lächeln schwebte über ihr. Schnee umwehte die Prinzessin auf ihrem Brunnen. Die tanzende Prinzessin in ihrem dünnen Kleid.
    Sie erinnerte sich.
    Sie erinnerte sich an alles.
    „Mama“, fragte Johanna, „wird jetzt alles wieder gut?“

    Lieschen lag auf dem bunten Flickenteppich, das Holzreh noch im Arm. Sophie konnte nur einen einzigen Blick auf sie werfen, dann stellte Marek sich dazwischen. Dieser einzige Blick genügte. Sophie drehte sich der Magen um. Sie biss verzweifelt die Zähne zusammen, während Marek sie behutsam herumdrehte, bis sie mit dem Gesicht zur Fensterhöhle stand. Die Tüllgardinen hingen zerfetzt herunter.
    „Die – die Glassplitter“, presste sie heraus, stammelnd, schaudernd. „Die Splitter!“
    „Ja“, sagte Marek ganz sanft hinter ihr. Mehr nicht. Sie hörte, wie er umherging; seine Schritte knirschten in den Scherben. Es dauerte nicht lang.
    „Wir können hier nichts mehr tun, Frolleinchen. Ich hab das arme Mädchen zugedeckt. Das Kind ist nicht da. Niemand sonst.“
    Er stellte sich neben sie. Der Wind wehte ihnen Schnee ins Gesicht. Vom Hügel kamen immer wieder krachende Geräusche, Rufen. Sie schwiegen, eine lange Zeit.
    Endlich fand Sophie die Worte wieder.
    „Es kann nicht sein“, sagte sie, mehr zu sich selbst. „Es kann nicht sein, dass sie fort sind. Etwas Schreckliches muss passiert sein. Ich hätte nie weggehen dürfen. Ich hatte Johanna versprochen, immer auf sie achtzugeben …“ Ein Schluchzen brannte ihr in der Kehle. Tränen kamen keine mehr. „Ich bin schuld, dass Lieschen hier war! Meinetwegen ist sie gestorben!“
    „Unsinn“, sagte Marek. Sie sah ihn von der Seite an; er hatte die Kiefer aufeinandergepresst, und die Muskeln in seinen rußverschmierten, verbrannten Wangen arbeiteten. Eine war noch von Willems Schlag geschwollen.
    „Sie denken doch über sich genauso“, sagte Sophie, viel schärfer, als sie gewollt hatte. „Sie machen sich auch Vorwürfe.“
    Marek erwiderte ihren Blick nicht.
    „Ich hab auch Grund dazu.“
    Sophie hustete. Es steckte immer noch so viel Rauch in ihrer Lunge; sie wusste nicht, wie sie ihn je wieder loswerden sollte. Genauso wie die Bilder und die Geräusche dieses Tages. Am liebsten hätte sie sich irgendwo verkrochen, wimmernd in einer Ecke, wie ein kleines Kind. Aber das durfte sie nicht.
    „Ich muss nach ihr suchen“, sagte sie. „Nach ihnen beiden. Sie müssen ja irgendwo sein.“
    Marek schien sie nicht gehört zu haben. Etwas knirschte leise; Sophie sah nach unten, auf seine schmutzigen Fäuste, die sich um den leeren Fensterrahmen klammerten. Helles Blut quoll in kleinen Tropfen darunter hervor.
    „Lassen Sie“, sagte sie leise. „Marek, lassen Sie doch. Sie verletzen sich.“
    Jetzt wandte er sich zu ihr, langsam, wie ein Schlafwandler, und es war kein Glanz mehr in seinen dunklen Augen, kein Glühen, keine Herausforderung. Sie wirkten wie abgestorben.
    „Willem“, stieß er rau hervor. „Willem. Er hätte nich allein gehn sollen. Ich hätte – ich hätte …“
    „Vielleicht mit ihm sterben sollen?“, fragte Sophie.
    Er erwiderte nichts, aber sie konnte die Antwort auf seinem Gesicht lesen. Es war so voller Bitterkeit, dass etwas in ihr sich vor Mitleid zusammenzog. Ihre linke Hand hob sich wie von selbst, legte sich auf seine, ganz leicht, ganz sacht.
    „Willem ist tot“, sagte sie. „Sie konnten ihn nicht retten. Aber sie haben viele andere gerettet.“
    Seine Finger bebten unter ihren. Sie spürte es, und irgendwo in ihr, in all

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