Winterkrieger
noch stark. Stärker als die meisten Männer, die nur halb so alt sind wie ich.«
»Wie alt bist du?«
»Fünfzig«, log er.
»Du bist Sechsundsechzig«, sagte sie. »Und ich finde, es gibt keinen Grund, sich dieser Tatsache zu schämen. Und du hast ganz recht du bist stärker als die meisten Männer, die nur halb so alt sind wie du. Du bist auch ein besserer Mann, als du zugeben willst. Also, keine weiteren Dummheiten mehr.«
»Ich bin aber dumm«, sagte er. »War es immer schon. Nogusta und Kebra, sie reden über Dinge, die ich nicht verstehe. Ehre und so was. Philosophie. Geht über meinen Kopf wie eine Schar von Gänsen. Ich bin einfach nur Soldat. Ich kenne nichts anderes. Ich will auch nichts anderes kennen. Ich esse, wenn ich Hunger habe, ich pisse, wenn meine Blase voll ist und ich bumse, wenn ich es mir leisten kann. Das ist das Leben für mich. Und mehr will ich auch gar nicht.«
»Damit belügst du dich selbst«, widersprach Ulmenetha. »Du hast Freunde, und du stehst zu ihnen. Du hast Ideale, und du lebst nach ihnen. Du bist nicht gerade ein Ausbund an Ehrlichkeit aber du bist loyal.« Sie schwieg und studierte sein Profil dann konzentrierte sie sich, wie Kalizkan es sie gelehrt hatte. Lebhafte Bilder tauchten in ihrem Geist auf, in strahlenden Farben. Zufällige Szenen aus Bisons Leben erschienen in rascher Folge. Sie schärfte ihre Konzentration und verlangsamte die Bilderfolgen. Die meisten waren so, wie sie es erwartet hatte, Wollust oder Gewalt Trunkenheit oder Betrug. Aber hier und dort fand sie erbaulichere Bilder. Sie sprach ihn wieder an. »Vor sechs Jahren bist du auf vier Männer gestoßen, die eine Frau vergewaltigten. Du hast sie gerettet und dabei zwei Stichwunden davongetragen, die dich beinahe umgebracht hätten.«
»Woher weißt du das? Hat Kebra dir das erzählt?«
»Das brauchte mir niemand zu sagen. Ich weiß jetzt viele Dinge, Bison. Ich kann deutlicher sehen als jemals zuvor. Tatsächlich sogar deutlicher, als ich es mir wünsche. Was ist dein größter Traum?«
»Ich habe keine Träume.«
»Als du ein Kind warst wovon hast du da geträumt?«
»Zu fliegen wie ein Vogel«, sagte er und grinste, dass man seine Zahnlücken sehen konnte. »Ich würde meine Flügel ausbreiten und durch den Himmel fliegen, den Wind in meinem Gesicht spüren. Ich wäre frei.«
Das Kind Sufia kam über die Ladeklappe geklettert »Hattest du wirklich Flügel?« fragte sie Bison, während sie auf seinen Schoß krabbelte.
»Ich hatte ganz große Flügel«, antwortete er. »Weiße Flügel und ich flog über die Berge dahin.«
»Ich hätte auch gerne große Flügel«, sagte Sufia. »Am liebsten weiße Flügel. Nimmst du mich mit zum Fliegen?«
»Jetzt fliege ich nicht mehr«, sagte er und fuhr ihr mit der Hand durch den blonden Schopf. »Wenn man alt und fett wird, verliert man seine Flügel.« Er warf einen Blick auf Ulmenetha »Stimmt’s?«
»Manchmal«, gab sie ihm recht.
Sufia kuschelte sich an Bison und hielt sich an seinem schweren wollenen Wams fest. Er sah Ulmenetha an. »Kinder mögen mich. Sie sind wohl nicht so klug, was?«
»Kinder können sich irren«, gab sie zu. »Doch im allgemeinen erkennen sie einen Beschützer.« Ulmenetha betrachtete das Kind liebevoll. Sein Herz war schwach, und unter normalen Umständen würde es wohl kaum die Pubertät erreichen. Sie legte ihre Hand auf Sufias Kopf und ließ zum ersten Mal die Macht frei, die Kalizkan sie gelehrt hatte. »Jeder von uns hat eine Kraft in sich«, hatte Kalizkan gesagt. »Die Chiatze nennen sie tshi Sie ist unsichtbar, aber trotzdem sehr mächtig. Sie hält unser Leben und unsere Gesundheit aufrecht Sie hilft uns, beschädigtes Gewebe zu heilen.«
»Warum hat sie bei dir nicht gewirkt?« fragte sie.
»Der Mensch ist nicht dafür vorgesehen, unsterblich zu sein, Ulmenetha. Der Krebs kam zu schnell und zu stark. Trotzdem ist die Beherrschung von tshi eine unschätzbare Hilfe für einen Heiler.«
Ulmenetha konzentrierte ihre Energien und ließ ihr eigenes tshi in das Kind einfließen.
»Deine Hand ist ganz warm«, sagte Sufia. »Das ist schön.«
Ulmenetha entspannte sich, als sie spürte, wie das flatternde Herz des Kindes kräftiger wurde. Es war noch nicht geheilt aber das würde noch kommen.
»Mir hast du mit mehr auf den Rippen besser gefallen«, sagte Bison. »Aber so siehst du jünger aus.« Er wollte noch etwas sagen, aber Ulmenetha warf ihm einen warnenden Blick zu.
»Denk daran«, sagte sie, »keine weiteren
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