Winterkrieger
Fähigkeiten. Jetzt brauche ich etwas frische Luft. Geh mit mir in den Garten.«
Banelion schlang sich seinen Schaffellumhang um die Schultern, stieß die Tür auf und ging in den schneebedeckten Garten hinaus. Der gepflasterte Pfad war nicht mehr zu erkennen, doch die Statuen, die ihn säumten, wiesen ihnen den Weg. Über den knirschenden Schnee wanderten die Männer an dem zugefrorenen Springbrunnen vorbei. Alle Statuen zeigten ventrische Krieger, die wie Wachtposten dastanden und ihre Speere zum Himmel reckten. Der ältere Mann nahm Dagorians Arm und lehnte sich an ihn. »Es ist Zeit, dass du lernst deine Zunge im Zaum zu halten, junger Mann«, sagte er leise. »Jedes geflüsterte Wort innerhalb des Palastes wird dem König und seinen neuen Ratgebern hinterbracht. Die Wände sind hohl, und die Lauscher schreiben jeden Satz nieder. Verstehst du?«
»Sie spionieren selbst dir hinterher? Das glaube ich nicht.«
»Glaub es ruhig. Skanda ist nicht mehr der Knabenkönig, der uns alle bezauberte. Er ist ein Mann, gnadenlos und ehrgeizig. Er ist entschlossen, die Welt zu erobern. Und wahrscheinlich wird es ihm auch gelingen. Wenn seine neuen Verbündeten so vertrauenswürdig sind, wie er glaubt.«
»Zweifelst du an Prinz Malikada?«
Banelion grinste und führte den jungen Mann um den zugefrorenen See herum. »Ich habe keinen Grund, an ihm zu zweifeln. Oder an seinem Zauberer. Malikadas Kavallerie ist hervorragend diszipliniert, und seine Männer kämpfen gut. Aber er ist kein Drenai, und der König setzt großes Vertrauen in ihn.« Auf der anderen Seite des Sees kamen sie zu einem steinernen Bogen, unter dem die Büste eines gutaussehenden Mannes mit gegabeltem Bart und hoher Stirn stand. »Weißt du, wer das ist?« fragte Banelion.
»Nein, General. Irgendein ventrischer Edelmann?«
»Das ist General Bodasen. Er starb vor dreihundertundfünfzig Jahren. Er war der größte General, den die Ventrier je hatten. Er war es – zusammen mit Gorben – der die Grundlagen für ihr Reich schuf.«
Der alte Mann schauderte und zog seinen Umhang fester um sich. Dagorian betrachtete die weiße Steinbüste genau. »Ich habe die Geschichten gelesen, General. Er wird als arbeitsamer Soldat beschrieben. Gorben soll die Armee zum Sieg geführt haben.«
Banelion lachte leise. »So wie Skanda. Und in den nächsten Monaten wirst du dasselbe über mich hören. So ist der Lauf der Welt, Dagorian. Die siegreichen Könige schreiben die Geschichte. Und jetzt lass uns zurückgehen, die Kälte dringt mir bis ins Mark.«
Zurück im Haus legte Dagorian Holz nach, und der General stellte sich vors Feuer und rieb sich die kalten Hände. »Sag mir«, bat er, »haben sie Bison schon gefunden?«
»Nein, General. Sie durchkämmen die Hurenhäuser.
Der Mann mit dem Loch im Schädel hat das Bewusstsein wieder erlangt. Die Ärzte sagen, er bleibt am Leben.«
»Was für ein Segen. Ich würde den alten Bison nur ungern hängen müssen.«
»Er war von Anfang an bei dir, wie ich höre.«
»Ja, von Anfang an, als der alte König nur ein junger Prinz war und das Königreich zerfallen. Tage des Blutes und des Feuers, Dagorian. Ich möchte sie nicht noch einmal erleben. Bison ist – genau wie ich – ein Relikt jener Tage. Es sind nicht mehr viele von uns übrig.«
»Was wirst du tun, wenn wir ihn finden, General?«
»Zehn Hiebe. Aber bindet ihn nicht an den Pfosten. Das wäre eine Verletzung seiner Würde. Er wird stehen bleiben und es aushalten. Sein Rücken wird blutig sein, aber du wirst keinen Ton von ihm hören.«
»Ich glaube, du magst ihn.«
Banelion schüttelte den Kopf. »Ich kann ihn nicht ausstehen. Er hat die Stärke eines Ochsen und ein ebensolches Hirn. Ich habe noch nie einen aufreizenderen, undisziplinierteren Kerl gesehen. Aber er symbolisiert die Stärke, den Mut und den Willen, der uns durch die ganze Welt geführt hat. Ein Mann, um Berge zu versetzen, Dagorian. Und jetzt ruh dich etwas aus. Wir machen morgen früh weiter.«
»Jawohl, General. Kann ich dir noch etwas Gewürzwein holen, ehe du dich zurückziehst?«
»Wein bekommt mir nicht mehr gut. Warme Milch mit Honig wäre schön.«
Dagorian salutierte, verbeugte sich und ging.
Kapitel zwei
Disziplinarstrafen im Regiment wurden nach einem festen Ritual durchgeführt. Jeder einzelne der zweitausend Männer des Regiments stand in schwarzgoldener Rüstung in einem riesigen Geviert auf dem Kasernengelände. In der Mitte warteten die zwanzig Stabsoffiziere, auf einer
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