Winterland
seinem Zimmer gesessen und gesoffen habe oder ob er auch mal um den Swimmingpool rumgelungert habe.«
»Und?«
»Nichts«, sagte Aneta Djanali.
»Wie bitte?«
»Sie sagte, sie habe noch nie einen nüchterneren Touristen gesehen.«
Erik Winter und Aneta Djanali beschlossen den Arbeitstag mit einer Tasse Kaffee in Winters Zimmer. Sie saßen einander am Schreibtisch gegenüber, alles Ermittlungsmaterial vor sich ausgebreitet. Plötzlich zuckte Aneta zusammen und verschüttete fast ihren Kaffee. Winter sah, wie sie ein Foto der toten Susanne Balker zu sich heranzog.
Während der Konferenz hatten sie darüber gesprochen, dass Aneta ja im selben Viertel wohnte wie die Familie Balker, nur zwei Haustüren entfernt. Weniger als fünfzig Meter.
Jetzt hielt sie das Foto in Händen, als würde sie es zum ersten Mal sehen.
»Ich erkenne sie wieder«, sagte sie und sah zu Winter auf.
»Ich habe sie mit einem Mann gesehen.« Sie sah auf das bleiche Gesicht der Frau herab. »Und das war nicht ihr Ehemann.«
Als Aneta Djanali am selben Abend nach Hause kam, musste sie feststellen, dass sie am Morgen vergessen hatte, das Licht im Badezimmer auszumachen. Es warf ein Bündel von Licht in den Flur. Es ist doch ein schönes Gefühl von einem Lichtstrahl willkommen geheißen zu werden, wenn man nach Hause kommt, dachte sie. Ich will auch das nächste Mal vergessen, es auszumachen. Wenn ich es nicht vergesse.
Sie ging in die Küche, goss Wasser in den Wasserkocher, drückte den Knopf, legte ein Tee-Ei in eine Tasse und goss Milch dazu. Dann das Wasser, als es gekocht hatte. Sie nahm die Tasse mit sich in das größere Zimmer auf der anderen Seite des Flures, legte die Füße auf einen Schemel und sagte »Aahhhh«. Sie nahm vorsichtig einen Schluck Tee und versuchte ein paar Minuten an gar nichts zu denken, was ihr jedoch misslang. Sie dachte: Soll ich jetzt Weihnachten mit Fredrik und seinen Kindern feiern? Soll ich hier alleine sitzen? Oder mir einen Flug nach Afrika besorgen und in Papas Haus sitzen und ihm von Dingen erzählen, die er lieber vergessen will, damit er den Wind und die ewige Hitze aushalten kann?
Aneta Djanali war im Östra Sjukhuset in Göteborg geboren. Ihre Eltern stammten aus Burkina Faso, das damals noch Obervolta hieß. Als sie erwachsen war, beschlossen ihre Eltern, in die Hauptstadt Ouagadougou zurückzukehren, aber für Aneta war klar, dass sie in dem Land bleiben wollte, in dem sie geboren war. Sie verstand jedoch, dass ihre Eltern, ehe es zu spät war, in das Land zurückkehren wollten, in dem sie selbst geboren waren.
Ihre Mutter war zwar gerade noch rechtzeitig nach Hause gekommen, aber sie hatte nur noch zwei Monate zu leben und wurde in der harten und ausgebrannten Erde an der Nordseite der Stadt begraben. Ihr Vater grübelte lange darüber nach, ob die Reise ihren Tod verursacht habe, vielleicht auch nur indirekt. Aneta leistete ihm solange es ging Gesellschaft. Mit großen Augen ging sie durch die Straßen der großen Stadt, in denen auch sie ihr ganzes Leben hätte verbringen können, anstatt jetzt als Fremde hindurchzuwandern. Sie sah aus wie alle anderen dort. Wenn sie wollte, konnte sie mit den Menschen dort Französisch sprechen, zumindest mit denen, die zur Schule gegangen waren, und manchmal tat sie das auch. Und sie konnte weitergehen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, bis zur Stadtgrenze und in die Wüste hinaus, die unmittelbar dahinter begann und die sich sogar manchmal in die Stadt hineindrängte und sie mit ihrem scharfen Wind anfiel. Das alles hatte sie gespürt, als sie in der weißen Hütte saß, in der ihr Vater wohnte.
Jetzt hörte sie den Wind, den schwedischen. Der war runder und sanfter – und kälter.
Aneta Djanali stand auf und trug die Tasse in die Küche.
Sie dachte an Fredrik.
Vor einem Jahr war seine Exfrau von einem betrunkenen Fahrer angefahren und getötet worden. Jetzt ist sie nicht einmal mehr als Ex noch da, hatte Halders einige Zeit später gesagt.
Sie hatten angefangen, sich zu treffen, Fredrik und sie. Nach und nach hatte sie auch seine Kinder kennen gelernt. Hannes und Magda. Sie hatten begonnen, ihre Gegenwart in ihrem Haus zu akzeptieren.
Sie mochte Fredrik, mochte seine Person. Ihr Jargon hatte sich verändert.
Das Telefon klingelte.
»Ja?«
Es war Fredrik.
»Was machst du?«
»Nichts«, antwortete sie. Was hätte sie sagen sollen? Ich denke an dich, Fredrik. Und vielleicht war es genau das, was sie hätte sagen sollen.
»Du hast nicht
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