Winterland
Wind bewegt. Wo die Tür zum Balkon offen steht. Wo es draußen dämmert. Oder ist es Morgen? Die Zikaden sind draußen. Er bewegt vorsichtig seinen Kopf, vor und zurück. Er kann sich nicht erinnern, in dieses fremde Zimmer hineingegangen zu sein. Ja, fremd. Das hier ist nicht sein Zimmer. Er sitzt auf dem Fußboden. Es ist ein Steinboden. Im Augenwinkel sieht er etwas. Er wendet den Kopf. Er sieht ein Gesicht. Einen Körper. Er sieht Flecken auf dem Körper. Er liegt auf dem Steinfußboden, halb unter einem Tisch. Es ist still.
Er versucht, aufzustehen. Plötzlich schlägt jemand gegen eine Tür, die zu der Wohnung gehören muss. Die Laute kommen durch einen dunklen Flur gestürzt, den er sehen kann, wenn er den Kopf in die andere Richtung dreht. Er hört ein Rufen, wie einen Schrei, der lauter ist als der der Zikaden, mehr von Eisen als von Stahl. Jemand wirft sich gegen die Tür.
Der Schnee hatte alle Geräusche gedämpft. Als er seine Stiefel auf der Treppe abbürstete, hatte das im Winterabend wie ein Flüstern geklungen. Die Dunkelheit hatte ein Übriges dazu getan, sie dämpfte ebenfalls die Geräusche. Es war wie taub und blind zu sein, hatte er gedacht. Der Winter ist ein körperlicher Zustand, ein kranker Zustand. Da spielt es keine Rolle, dass wir jetzt in die höchste Zeit des Lichts vordringen.
Es war noch ungefähr eine knappe Woche bis Weihnachten gewesen. Die Leute im Viertel hatten, als wollten sie die Zeit überlisten, schon seit Monaten Lichterbögen und Sterne in ihre Fenster gestellt. In den Geschäften wurden die Leute seit Oktober auf Weihnachten vorbereitet.
Er hatte die Tür geöffnet und die Wärme im Flur gespürt, die Erdwärme. Das war immer noch etwas, worüber man sich freuen konnte. Die Wärme da drinnen war runder und deutlicher geworden, seit sie von Öl auf Erdgas umgestiegen waren. Da drinnen konnte man wie ein Mensch leben. Draußen war es schlimmer. Da war man blind und taub.
Sie hatte ein seltsames Lächeln auf den Lippen gehabt, als sie in die Küche gekommen war. Es war, als verberge sie ein Geheimnis. Und das hatte sie auch getan. Sie hatte das Geheimnis hinter ihrem Rücken hervorgeholt.
»Was ist das denn?«, hatte er gefragt.
»Ein Umschlag, das siehst du doch.« Sie lächelte noch etwas breiter. »Ein brauner Umschlag. A5. Umweltfreundliches Papier.«
»Hahaha.« Er hatte einen Schritt auf den Tisch zu gemacht.
»Und ist da vielleicht etwas drin in dem Umschlag?«
»Mach ihn auf, dann siehst du schon«, hatte sie gesagt.
Er rennt durch die Öffnung auf die Terrasse. Wieder schreit jemand. Der Laut wird durch die Tür und den Flur abgedämpft. Hier ist es nicht der Schnee, der die Geräusche dämpft. Hier gibt es keinen Schnee. Er steht auf der Terrasse und hört seinen eigenen Atem durch den Kopf rauschen. Wie einen Orkan. Er dreht sich zu dem Bungalow um. Über der Terrassentür steht eine Zahl. Nummer sechzehn. Er sieht den grauen Himmel darüber. Es ist Morgen, Morgendämmerung. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Es schaudert ihn, und plötzlich merkt er, dass er friert. Auch am Mittelmeer ist es Winter, ein grüner Winter.
Er rennt über die Steinplatten und hinunter zum Rasen, weg von der Wohnung. Er weiß nicht, wohin er läuft. Er weiß nicht, wo er ist. Er weiß nicht, wie er dorthin gekommen ist. Alles das hier ist unwirklich, denkt er, das geschieht nicht in Wirklichkeit. Doch es geschieht, er muss nur das feuchte Gras unter seinen nackten Füßen spüren, um zu begreifen, dass es wirklich ist. Er weiß nicht, warum er auf diese Weise flieht, aber er weiß doch, dass er es tun muss. Das ist der Instinkt, denkt er, als er an einem Swimmingpool vorbeiläuft. Ich bin ein Tier geworden.
»Nun mach schon auf!«, hatte sie wieder gesagt.
Er hatte den Umschlag aufgerissen.
»Was ist das denn?«, hatte er gefragt.
»Weißt du nicht, wie ein Flugticket aussieht?«, hatte sie gefragt, und da hatte er das seltsame Lächeln verstanden, und es war nicht mehr seltsam gewesen.
Er hatte den Text auf den Tickets gelesen. Das Ziel. Das Datum.
»Verdammt«, hatte er gesagt.
»Ich habe so oft gehört, dass du dort gern wieder einmal hinfahren würdest«, hatte sie gesagt. »Jetzt ist es so weit.«
Er hatte wieder das Ticket gelesen.
»Aber das ist ja über Weihnachten«, hatte er gesagt.
»Ist das ein Problem?«
»Nein, nein, es ist nur …«
»Kommt der Weihnachtsmann nur, wenn es Schnee gibt?«, hatte sie gefragt.
»Er war doch
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