Winterliebe: eine Anthologie aus fünf sinnlich-romantischen, humorvollen und homoerotischen Love Storys (German Edition)
heran, die lachend vorbeigingen, doch Aischas Blick ruhte fest auf der anderen Frau. Sie zeigte dem jungen Mädchen ein weiteres Stück aus ihrem Angebot.
Aischa gab sich einen Ruck. Monatelang wartete sie auf diesen Augenblick. Etwas in ihr wollte zurückweichen, gehen. Die Angst versteckte sich in ihrem Nacken, flüsterte ihr ein, dass sie nur enttäuscht werden würde. Aber sie war niemand, der sich einschüchtern ließ. Nicht in der Firma, nicht privat. Entschlossen ging Aischa los, den Blick fest auf die andere Frau gerichtet, die gerade die Kette in Seidenpapier einschlug.
Gegen die kalte Witterung hatte sie sich in einen dicken, grünen Wollpullover mit einer schwarzen Weste darüber gehüllt. Die Kleidung verbarg viel von ihrer Figur. In ihren Träumen hatte Aischa sie sich schlank, zierlich vorgestellt, passend zu den schlanken Händen.
Sie lächelte, überreichte die sorgfältig verpackte Kette dem strahlenden Mädchen, während ihr Vater befriedigt schmunzelnd bezahlte. Sie sah erst hoch, als Aischa nur noch wenige Schritte von dem Stand trennten. Deren Herz stockte, ihr Schritt verharrte. Braune Augen sahen sie an, schmale Augenbrauen hoben sich eine winzige Spur, das Lächeln verschwand, die fein geschwungenen Lippen teilten sich und Aischa vermeinte zu sehen, wie sich die Schultern unter der dicken Kleidung leicht senkten. Erstaunen verwandelte sich in ein feines, eigentümlich zufrieden wirkendes Lächeln.
Die Geräusche wichen zurück, verschwanden aus Aischas Bewusstsein, als ob jemand den Lautstärkeregler betätigt hätte. All die Menschen ringsum verloren an Bedeutung, verschwammen zu Schemen am Rande ihres Blickfeldes. Sie war der Magie dieser Augen verfallen, dem Zauber dieses Lächelns. Heißkalte Schauder rannen über ihren Rücken und sie hatte Mühe, ihre Beine anzuweisen, jene wenigen Schritte zu tun, die sie unwiderruflich in ihre Nähe bringen würden.
„Hallo“, begrüßte die andere Frau sie. Ihre weiche Stimme! Sie klang in Aischas Ohren so, wie sie sie in Erinnerung behalten hatte. Genau so. Ein Lächeln hob Aischas Mundwinkel an.
Sie hat mich wiedererkannt. Sie hat mich tatsächlich wiedererkannt, bemerkte sie fassungslos und glücklich zugleich. Herzschläge, gleich winzigen Trommeln in ihrem Innern, hoben und senkten ihre Brust. Der Stein schien zu vibrieren, sie näher zu ziehen und endlich überwand sie die letzten Schritte.
„Hallo“, gab Aischa zurück, die Stimme zittrig in ihren Ohren, nicht jene selbstbewusste, oft kalt klingende, die in ihrem Berufsleben manchen verunsicherte. „Ich … habe länger her mal einen Stein bei Ihnen … gekauft“, erklärte sie stockend. Sie war sonst nie um Worte verlegen, hatte sich eine ganz andere Begrüßung zurechtgelegt, aber ihr Kopf war wie leergefegt.
„Ja, ich weiß“, antwortete sie lächelnd.
„Sie erinnern sich an mich?“ Aischa war verblüfft, angenehm gerührt. Schlagartig pochte ihr Herz schneller. Sie erinnerte sich an sie …
„Natürlich.“ Die andere Frau lächelte und streckte ihr die Hand hin. „Ich bin Lily und du hast einen Feuerstein bei mir gekauft. Ich hatte gehofft, dass ich dich irgendwann wiedersehen würde.“
Perplex starrte Aischa sie an und es dauerte einen zu langen Moment, bis sie die dargebotene Hand ergriff. „Aischa“, murmelte sie, wusste nicht, was sie noch sagen sollte. Lily lächelte, gab ihre Hand nicht sogleich frei. „Aischa ...“ Sie ließ den Namen über ihre Lippen gleiten, als ob sie ihn kosten würde. „Ein wundervoller Name.“
„Mein Name und Aussehen sind Teil meiner türkischen Gene“, erklärte Aischa berührt. Sie hatte ihre Handschuhe nicht ausgezogen, vermeinte dennoch die Wärme der anderen Hand prickelnd durch die Maschen dringen zu spüren. Lily antwortete nicht sofort, zog ihre Hand nur langsam zurück.
„Eine gelungene Mischung.“ Lily strich sich ihren Zopf zurück. „Hat dir der Stein gefallen?“
„Ich trage ihn ständig“, gab Aischa lächelnd zu. „Er ist so etwas wie mein Talisman geworden.“ Lily nickte wissend. „Er war wie für dich gemacht. Er hat dich ausgesucht. Mich erinnert er sehr an deine Augen.“
„Meine ...“ Aischa schluckte, beobachtete verwundert, wie Lily, den Kragen ihres Pullovers verschob, hineingriff und einen anderen Stein hervorholte. Es war beinahe der gleiche, offenbar eine weitere Scheibe desselben Steins, ebenso geschliffen und poliert, lediglich ein wenig kleiner als Aischas.
Verblüfft starrte sie
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