Winterliebe: eine Anthologie aus fünf sinnlich-romantischen, humorvollen und homoerotischen Love Storys (German Edition)
Aischa den leeren Becher in einen Mülleimer. Es dämmerte und die weihnachtliche Beleuchtung versetzte die Welt des kleinen Marktes in himmlische Sphären voller Sterne und Sternschnuppen. Es war zu viel, um noch schön zu sein, gehörte jedoch dazu, wie Weihnachtsartikel im September. Es war ein Fest, welches zelebriert wurde.
Aischa schlenderte an den Ständen entlang, fand einen mit handgefertigten Seifen und erwarb eine besonders schöne, nach Rose und Zitrone duftende. Sie würde sich heute Abend in ihrer Badewanne mit genau diesem Duft verwöhnen, morgen früh ging ihr Flieger nach Frankfurt und sie kehrte zurück in die hektische Welt. Ihre eigentliche Welt. Sie sollte wohl langsam heimfahren.
Fröstelnd zog sie den Kragen ihres Mantels höher und rieb ihre Finger aneinander. Vor ihr lag eine Gasse aus unscheinbareren Ständen, sie hatte den lauten, grellen Bereich des Marktes hinter sich gelassen und ihr Herz schlug unwillkürlich schneller. Hier waren die Handwerksstände, die sie interessierten. Ein Papierschöpfer, dessen kunstvolle Werke an Wäscheklammern auf Leinen aufgehängt hingen, ein Holzschnitzer, dessen Figuren überaus echt wirkende Gesichtsausdrücke trugen und …
Aischa öffnete leicht den Mund, sog erwartungsvoll die kühle Luft ein. Dort gab es einen kleinen Stand, der Schmuck in seiner Auslage hatte. Steine. Viele Steine. Geschliffen, eingefasst, an Ketten und Lederbändern. Ihr Stand. Aischa wusste es mit absoluter Sicherheit.
Atemlos blieb sie bei dem Papierschöpfer stehen und starrte hinüber. Sie war nicht zu sehen, saß vermutlich in demselben Stuhl, wie damals. Aischas Herz hüpfte freudig, pochte ängstlich im Wechsel und ein kalter Schauer rann über ihren Rücken.
Oh, sie hatte sich diese Begegnung ausgemalt. Hunderte von Malen. Nachts, in den Dutzenden von Hotelzimmern, wenn sie nicht schlafen konnte. Wenn ihr der ganze hektische Tag noch durch den Kopf ging und sie mit Unbehagen an den folgenden dachte, hatte sie sich vorgestellt, wie es sein würde, wenn sie sie wiedertraf. Ihre Hand hatte auf dem Stein gelegen und sie hatte sich ausgemalt, wie sie lächeln, sie begrüßen würde, als ob sie sich wahrhaftig kennen würden. Wie Freundinnen.
Wunschdenken, Fantasien, dennoch hatte es ihr geholfen, hatte sie schlafen, am folgenden Morgen wie gewohnt in ihre Rolle schlüpfen, sie ihre Karriere weiter vorantreiben lassen.
Und nun würde sie sie wirklich wiedertreffen.
Aischas Hände fühlten sich unter den Handschuhen feucht an. Nervös strich sie sich ihre Haare zurück, versuchte aus der sicheren Entfernung einen Blick auf ihre Gestalt zu erhaschen. Das Glück war mit ihr, denn mittlerweile waren hier recht viele Menschen und es fiel nicht auf, dass sie an den Angeboten an Papier und höchst dekorativen Notizbüchern wenig Interesse zeigte. Zwei Marktbesucher, ein junges Mädchen in Begleitung eines älteren Mannes, vielleicht ihr Vater, waren an dem Stand mit dem Steinschmuck stehengeblieben. Offensichtlich aufgeregt besah das Mädchen den Schmuck und Aischa schmunzelte, als ein entzückter Ausruf bis zu ihr herüber drang.
Aischa erstarrte.
Da war sie, trat aus den Schatten ihres Standes nach vorne. Die über die Gassen zwischen den Ständen gespannten Lichterketten beleuchteten hinreichend ihr Gesicht. Obwohl völlig unmöglich, vermeinte Aischa ihre wunderschönen, braunen Augen erkennen zu können, die jenem auf ihrem Stein so glichen. Tief innen loderndes Feuer. Sie hatte ihn so oft betrachtet, war in diese Tiefe eingetaucht und hatte sich eingebildet, sie würde sie durch den Stein ansehen.
Jetzt, heute, wo sie sie endlich gefunden hatte, wagte sie kaum hinzusehen, fürchtete sich vor dem Moment, in dem sie ihr begegnen würde. Es war eine Sache, Fantasien zu träumen, eine andere, sie in der Realität scheitern zu sehen.
Verstohlen beobachtete sie die andere Frau.
Sie trug ihre Haare heute zu einem Zopf geflochten, der seitlich über ihrer Schulter lag. Sie waren länger geworden, derselbe helle Braunton, durchzogen mit helleren Strähnen, die vielleicht noch dem Sommer geschuldet waren. Ein überaus schönes Lächeln lag auf ihren Zügen, welches Aischas Beine kaum merklich zittern ließ.
Oh Gott, wie sehr hatte sie sich gewünscht, dieses Lächeln wiederzusehen.
Neben ihr feilschte ein junger Mann mit dem Verkäufer um ein Set aus Briefpapier. Der penetrante Geruch von sehr unweihnachtlicher Currywurst schwebte mit einer Gruppe halbstarker Jugendlicher
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