Winterliebe: eine Anthologie aus fünf sinnlich-romantischen, humorvollen und homoerotischen Love Storys (German Edition)
attraktiv, ohne Zweifel, und das verschlug ihm etwas die Sprache. Das und der Umstand, dass ihr Kennenlernen ziemlich merkwürdige Bahnen beschritten hatte.
Aber Abel war nicht nur etwas fürs Auge, sondern war wortgewandt und hatte einen trockenen Witz, der ihn Judas fast schon unheimlich machte. Zu allem Überfluss spürte er immer wieder die Augen des anderen über sich gleiten, in denen neben Schalk auch etwas anderes zu stehen schien. Um seiner Anspannung irgendwie Paroli bieten zu können, langte Judas bei den Getränken ordentlich zu, sodass er einen ganz leichten Linksdrall hatte, als sie vom Esstisch aufstanden und wieder zurück ins Wohnzimmer gingen.
Seine Mutter freute sich über das von ihm erworbene Buch, Abel überreichte ihr einen großzügig bemessenen Pralinenkasten ohne jegliches Weihnachtsmotiv, über den sie sich postwendend hermachten. Judas bekam ein neues Bücherregal für seine Wohnung und ein Set Socken mit lateinischen Sinnsprüchen darauf. Immerhin keine Unterwäsche. Dazu nippten sie weiter an ihren Drinks, bis Judas endgültig den Überblick verloren hatte und sich eingestehen musste, ziemlich angeheitert zu sein. Sonst trank er eigentlich nicht so hemmungslos, aber die ganze Situation machte ihn ziemlich anfällig.
Irgendwann sagte seine Mutter: „Oh, es ist schon ein Uhr durch. Da wirst du es nicht mehr in die Innenstadt nach Hause schaffen, Abel, der Nahverkehr fährt nicht mehr und ein Taxi zu bekommen ist hier und heute hoffnungslos. Dürfen wir dir Quartier für die Nacht anbieten?“
„Das wäre sehr nett“, nickte Abel, der auch nicht mehr stocknüchtern sein durfte. „Aber ich will wirklich keine Umstände machen ...“
„Ich bestehe darauf!“, sagte sie streng. „Das Haus ist zwar nicht so groß, aber dich bekommen wir schon unter, wenn du nichts dagegen hast, mit bei Judas zu schlafen?“
Das Bett in seinem alten Kinderzimmer war ein Doppelbett. Allerdings gab es noch die Couch und sogar ein winziges Gästezimmer. Aber die Stoßrichtung seiner Mutter war klar. Etwas in ihm wollte inständig protestieren, dass ihm ausgerechnet seine Mama einen Kerl zur Nicht-Weihnacht in die Kiste schob. Aber irgendwie bekam er den Mund nicht auf, obwohl er innerlich tausend Tode starb. Er mochte zwar etwas beduselt sein – aber von unzurechnungsfähig oder komatös war er noch weit entfernt. Und bedauerlicherweise war es wahr: Ein Teil von ihm war ganz wild darauf, mit Abel in seinem Zimmer allein zu sein. Und dort ... was auch immer ...
Okay, sein Hirn war schon ziemlich benebelt.
***
„Danke, dass ich hier schlafen darf“, flüsterte Abel durch die Dunkelheit.
„Kein Problem“, murmelte Judas.
Er lag an der äußersten Kante seines alten Bettes, fühlte die Müdigkeit und den Alkohol, aber war doch Lichtjahre von der Entspannung entfernt, die dem Schlaf voranging. Er hatte das Gefühl zu bibbern, ohne recht zu wissen, warum denn eigentlich.
Abel war einfach hinreißend. Zumindest fand Judas das. Und er selbst ... er war Prinz Milchgesicht. Omas schenkten ihm Bonbons, jeder fand ihn zum Knuddeln – es war zum Heulen.
Und jetzt lag er wie ein altes Baguettebrot neben diesem Traumprinzen und wusste weder ein noch aus. Dass er trotz der Umstände so hin und weg von dem anderen Mann war, hieß ja keinesfalls, dass das auch auf Gegenseitigkeit beruhen musste. Abel hatte diesem Nachtlager zwar zugestimmt, aber das konnte auch an einem Mangel an Alternativen liegen.
Er spürte, dass Abel sich auf der Matratze bewegte und fühlte, wie sein Herz anfing wie wahnsinnig zu klopfen. Sein Gast rollte sich zu ihm auf die Seite, stützte sich neben ihm auf dem Ellenbogen ab und sah ihm ins Gesicht. Seine Mutter hatte ihm einen Pyjama gegeben, den eine ihrer Liebschaften hinterlassen hatte. Judas‘ hätten ihm nicht gepasst.
„Du hast mir immer noch nicht gesagt, ob dir dein Weihnachtsgeschenk gefällt?“, fragte Abel leise. Irgendwie fehlte der Spott in seiner Stimme. Stattdessen war da etwas anderes, das Judas unwillkürlich erschauern ließ. Abel war nah. Viel zu nah. Und nicht nah genug.
„Äh… also ein Regal konnte ich wirklich gebrauchen…“, redete Judas wirr in Ermanglung eines allzu klaren Gedankens.
„Hey“, sagte der andere, legte ihm die Hand auf die Wange und drehte seinen Kopf zu sich hin, dass er ihn im schwindenden Licht des Mondes direkt ansehen musste. Judas fühlte sich wie gelähmt. „Wo ist der freche Kerl von heute Mittag
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