Winterliebe: eine Anthologie aus fünf sinnlich-romantischen, humorvollen und homoerotischen Love Storys (German Edition)
müssen. Im Großen und Ganzen war es ihm gelungen, auch wenn es schwer gewesen sein musste. Seine Eltern hätten trotz allem vor dem Gesetz seine Ausbildung finanzieren müssen, was sie jedoch verweigert hatten. Und Abel hatte sie nicht verklagen mögen, weil sie doch seine Eltern waren. Was für eine elende Welt.
Aber er hatte seinen Weg gemacht, wenn auch aus eigener Kraft und unter zahlreichen Entbehrungen. Vielleicht war ihm das auch Ansporn gewesen, sich der Welt zu beweisen. Jedenfalls musste er gut sein in seinem Fach, ansonsten hätte er es nicht auf eine Universitätsstelle mit Aussicht auf eine wissenschaftliche Laufbahn gebracht. Das wollte sich Judas selbst nicht antun, auch wenn sich das seine Eltern vielleicht beide erträumt hatten. Er wollte Lehrer werden, basta. Dennoch war das für ihn ein Faktor. Er wollte keine Hohlbirne mit einem schönen Körper. Nicht wirklich, auch wenn der Trieb das Geistige zuweilen zu ignorieren empfahl. Aber das war eben nicht sein Ding, er konnte das schließlich halten, wie er wollte.
Und Abel ... war schön, anziehend, begehrenswert mit seiner schlanken, durchtrainierten Figur, die er wohl in der Tat seiner Begeisterung für das Fahrradfahren zu verdanken hatte, und seinen grünen, heiter blitzenden Augen. Und er war außerdem noch viel mehr ... unter anderem ein Mann, der mit ihm den Jahreswechsel verbringen wollte und für ihn Köstlichkeiten kochte – und keinen Tofu.
„Hau rein!“, forderte ihn Abel auf, nachdem er ihm den Teller vollgeladen hatte. Abels frisch bezogene Wohnung war sehr überschaubar, aber voller Bücher und Bilder und Krempel, genau wie Judas es mochte. Und auch der Braten war vorzüglich.
„Super“, schwärmte er hingerissen kauend. „Oberlecker!“
Abel strahlte stolz. „Ja, ist wohl doch nicht schief gegangen“, freute er sich. „Habe mir echt Mühe gegeben!“
„Danke!“, sagte Judas mit vollem Munde und aufrechtem Herzen. „Wirklich! Danke!“
„Dafür nicht“, erwiderte Abel fast beschämt und begann ebenfalls zu essen. „Weißt du“, mampfte er. „Finde ich echt gut, wie wir das machen. Ganz anders als sonst. Nicht gleich ins Bett, sondern wirklich ... erst mal beschnuppern.“
„Und wie rieche ich?“, wollte Judas wissen, während er sich das Menü auf der Zunge zergehen ließ.
Abel lächelte mit ein wenig Bratensaft im Mundwinkel. „Zum Niederknien lecker. Irgendwie ... ein wenig nach Thymian und Nougat. Herb und süß. Und ... ich habe ein wenig Schiss. Habe es noch nie drauf ankommen lassen. Aber das hier ist auch für mich eine Premiere. Nicht das Feiern ... du. Das ist auch ein Experiment. Genau wie der Braten.“
„Der Braten ist himmlisch!“, vergötterte Judas die nicht-vegane Kost.
„Das muss ein Vorzeichen sein!“, schloss Abel freudig und prostete ihm mit dem Rotwein zu, den sie unter Vermeidung härterer Sachen gemeinsam genossen.
Sie hatten ganz klassisch „Dinner for One“ gesehen und einfach weiter miteinander gesprochen. Dinge, die sie mochten. Dinge, die sie ablehnten. Bei einigen Filmen und Musikern waren sie sich nicht ganz einig, aber sie schwammen schon auf derselben Wellenlänge. Keine siamesischen Zwillinge im Geiste, aber auch gewiss nicht völlig uneins.
Im Fernsehen wurde der Countdown vorm Brandenburger Tor herunter gezählt. Sie standen auf dem winzigen Balkon, der zu Abels Wohnung gehörte, und starrten gen naher Innenstadt, wo bereits einsame Raketen in den Himmel schossen. Die Arme des größeren Mannes waren entspannt von hinten um seine Brust geschlungen. Er fühlte sich einfach wohl. Entspannt und zufrieden. Abel hatte Discounter-Champagner besorgt, der jetzt fröhlich in ihren Gläsern vor sich hinblubberte.
Die Uhr erreichte ihren Zenit, und der Irrsinn begann. Viel vom Feuerwerk war rasch nicht mehr zu erkennen, da ein dichter Nebel infolge der Explosionen aufstieg. Die Luft war erfüllt von Gejubel, Geschrei und dem Geräusch explodierende Böller.
„Ein frohes Neues Jahr, Judas“, flüsterte Abel von ganz nah und küsste ihn auf die Schläfe.
„Dir auch“, wisperte Judas zurück, dann prosteten sie sich zu und tranken versunken. Es war so gut, diese starken Arme um sich zu fühlen, in den Himmel zu starren, den Farbregen zu erahnen und einfach hier zu sein. Was auch immer das mit ihnen werden würde, im Augenblick hätte er nirgendwo anders auf der Welt sein mögen.
„Hast du dir etwas vorgenommen?“, murmelte Abel in sein Ohr.
„Ja“, erwiderte
Weitere Kostenlose Bücher