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Wintermädchen

Wintermädchen

Titel: Wintermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Halse Anderson
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ist bereits verschwunden.
    Wie macht er das nur?
    Ich kann mich nicht daran erinnern, wie es ist zu essen, ohne vorher zu planen, Kalorien und Fettgehalt aufzulisten und den Umfang von Hüften und Schenkeln nachzumessen, um zu prüfen, ob ich es auch verdiene. Für gewöhnlich entscheide ich mich dagegen, beiße mir auf die Zunge, bis sie blutet, und binde mir den Kiefer mit Lügen und Ausreden zu, während ein blinder Bandwurm sich um meine Luftröhre wickelt und schnüffelnd in mir rumstochert, um ein feuchtes Schlupfloch in mein Gehirn zu finden.
    Ich bin so unendlich müde. Ich habe sogar vergessen, wie man schläft.
    Dad plappert weiter über einen Packen schimmliger Briefe in den Londoner Archiven und dass wir ja, wenn wir mit den Ticketpreisen Glück hätten, alle zusammen nach England reisen könnten, was nie im Leben passieren wird. Ich schlucke meine Tabletten und trinke meinen Tee. Und gerade als ich nach einer halben Scheibe Toast greife (38,5), mit einem Viertel Esslöffel Butter darauf (25) = 63,5 klingelt das Telefon.
    Ich mache Anstalten aufzustehen.
    »Nicht«, sagt er. »Lass den AB rangehen.«
    Nach dem Piepton ertönt Mr s Parrishs knisternde Stimme. »Lia? Lia, bitte ruf mich zurück. Ich bin nicht wütend, versprochen. Wir haben überall gesucht und können Cassies Halskette nicht finden, die mit dem Silberglöckchen. Ich dachte, wenn ich sie trage, würde das vielleich t … Kannst du mir helfen?« Ihre Stimme bricht, und sie schluchzt auf und schnieft. »Ich möchte doch nur, dass du mich anrufst, Lia. Ich kann nich t … Ich brauche deine Hilfe.«
    Nachdem sie aufgelegt hat, löscht Dad die Nachricht. »Sie sollte besser mal mit ihrem Therapeuten reden, anstatt dich zu belästigen.«
    Ich unterziehe die Risse in den Fugen zwischen den Küchenfliesen einer eingehenden Begutachtung. Wenn ich mich in eine Rauchschwade verwandeln könnte, würde ich einfach dort hineinschlüpfen und verschwinden.
    »Ist schon okay«, lüge ich. »Sie weiß grad nicht mehr weiter. Traurig ist das.«
    »Geht es dir genauso?« Er nippt an seiner Milch. »Dass du nicht mehr weiterweißt und traurig bist?«
    Ich hätte mich schlafend stellen sollen, als er hereinkam. »Nein.«
    »So wirkt es aber auf uns.«
    »Wer ist ›uns‹?«
    Die Erdnussbutter versucht ihm den Mund zuzukleben, schafft es aber nicht. »Ich hatte gestern Abend ein langes Gespräch mit deiner Mutter.«
    »Du hast dich dieses Jahr schon zwei Mal mit Mom unterhalten?«
    »Lass den Sarkasmus, bitte.« Er beißt wieder in sein Sandwich und kaut. »Chloe ist der Meinung, dass du dich einschätzen lassen solltest.«
    »Einschätzen?«
    »Jennifer denkt genauso darüber.«
    »Inwiefern einschätzen?«
    Er hört auf zu essen. »Um festzustellen, ob du wieder stationär aufgenommen werden solltest.«
    Die Risse im Boden werden breiter. »Ihr wollt mich wieder einsperren?«
    »Chloe sagte mir, dass sie dich heute Morgen anrufen würde, um es mit dir zu besprechen.«
    »Hat sie aber nicht.« Ich zittere. Die Kälte dringt durch die Fenster herein. »Denkst du denn, ich sollte zurückgehen?«
    »Meine ehrliche Meinung? Kommt mir ein bisschen extrem vor. Deine Noten könnten besser sein, aber immerhin gehst du zur Schule. Du schleichst dich nachts nicht weg und bringst dich nicht in Schwierigkeiten. Ich habe deiner Mutter gesagt, dass es wahrscheinlich ausreicht, wenn du wieder ein paarmal zur Ernährungsberatung gehst.«
    »Aber Mom will mich wegsperren.«
    »Die Untersuchung könnte ja beweisen, dass sie sich irrt. Sieh es doch mal so.«
    »Sie hat den Termin bereits vereinbart, stimmt’s?«
    Er greift nach dem Zauberstab und neigt ihn, sodass das Glitzerzeug innen nach unten sinkt, perfekt versiegelt im Plastik. »Zwei Tage nach Weihnachten, zehn Uhr.«
    »Wie nett«, sage ich. »Dann werde ich ja einen Aufsatz über meine Weihnachtsferien auf dem Masthof schreiben können, wo mir Schläuche in die Nase gesteckt wurden und man mich zwang, Butter zu essen, und mir hübsche bunte Pillen verabreicht hat. Wo man mich einer Gehirnwäsche unterzog und mich in einen fetten Zombie verwandelte. Was für ein Spaß.«
    »Du wirst doch nicht überwiesen, wenn du es nicht wirklich brauchst. Möchtest du denn nicht gesund sein und dich besser fühlen?«
    »Du versuchst nur, mich loszuwerden.«
    »Ich mache mir Sorgen um dich. Ich will mein kleines Mädchen zurück.«
    Ich stehe auf und beginne, zwischen dem Tisch und dem Herd auf und ab zu gehen. »Ich habe es mit dem

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