Wintermädchen
beschlossen, mir meine Lüge zu glauben, dass ich mich schon sehr viel besser fühle, aber vorsichtshalber lieber noch ein bisschen auf dem Klo sitzen bleibe und was lese. Den Rest der Nacht schlurfe ich fast ununterbrochen zwischen Bett und Toilette hin und her und entleere, entleere, entleere mich, während das Abführmittel sich durch mich hindurchätzt und seine schmutzige Arbeit verrichtet. Nach jedem Gang scheure ich das Klo mit dem blauen WC -Reiniger.
Als ich schließlich ins Bett falle, beginnt jemand mit einem Baseballschläger auf meinen Brustkorb einzuschlagen. Ich versuche meinen Puls zu fühlen, aber mein Herz hämmert zu schnell, um mitzuzählen. Ich schwitze. Mein Körper verdaut sich selbst, hackt meine Muskeln in kleine Stücke und wirft sie ins Feuer, damit der Motor weiterläuft.
Irgendwas aus Metall scheint in meinem Mund zu stecken. Ich muss Jennifer wecken.
Wenn ich sie wecke, wird sie durchdrehen.
Wenn sie durchdreht, ruft sie den Krankenwagen.
Wenn der Krankenwagen anrückt, bin ich verloren.
Ich rolle mich zur Seite und bitte Cassie, mir den Rücken zu massieren und mir was vorzusingen.
046.00
Als Dad am Samstag aus New York zurückkommt, döse ich auf dem Sofa. Er rüttelt mich an der Schulter und ich fahre erschrocken hoch, weiß nicht, wo ich bin und wer er ist. Er merkt es nicht.
»Wo sind Jen und Emma?«, fragt er.
Ich setze mich auf, ganz langsam. Die schlimmsten Krämpfe von gestern Nacht sind vorüber, aber ich fühle mich, als hätte ich mit dem Kopf nach unten hängend hunderttausend Sit-ups gemacht. »Sie sind im Einkaufszentrum. Wie war deine Reise?«
»Großartig«, sagt er. »Meine Lektorin verschiebt den Abgabetermin und gewährt mir außerdem einen Vorschuss für eine Forschungsreise nach London. Ich bin der Champion!«
Er versucht sich an einem triumphalen Faustschlag in die Luft wie ein Fußballprofi, sieht dabei aber mehr nach einem peinlichen Collegeprofessor aus, der ein Taxi anhält.
»Das ist toll, Dad.«
Sein Lächeln erstirbt. »Geht’s dir gut? Du siehst nicht berauschend aus.«
»Ich hatte gestern Nacht eine Lebensmittelvergiftung von einem Törtchen, so was Blödes.« Ich ziehe mir die Decke über die Schultern.
»Hast du deine Mutter angerufen?«
»Nein.«
»Sie ist Ärztin.«
»Ja, das ist mir schon klar. Es war aber nicht nötig, sie mitten in der Nacht mit einem Krankenwagen herzubestellen. Jennifer hat mir geholfen. Es geht mir gut, ich bin nur müde.«
»Bist du sicher?« Er fühlt mit dem Handrücken meine Stirn.
»Warum tust du das?«
»Das tut man eben, wenn Kinder krank sind.«
»Du bist ein hoffnungsloser Fall«, sage ich.
Er umarmt mich hastig. »Man tut, was man kann. Ich hab euch Mädchen ein paar Geschenke aus der Stadt mitgebracht, vielleicht bringt dich das wieder auf die Beine. Einen Moment.«
Er verlässt das Zimmer und kommt mit einer Plastiktüte zurück.
»Schau mal rein.«
Ich packe die Tüte aus. Der mit Glitzerzeug gefüllte Zauberstab soll wohl für Emma sein, was bedeutet, dass die Bücher für mich bestimmt sind: alles Geschichten für Zwölfjährige über die Qualen der Mittelstufe. Es sei denn, die Bücher sind doch für Emma und der Zauberstab ist für mich. Das wäre nützlich.
»Möchtest du Erdbeere, Traube oder Honig?«, fragt Dad, der bereits auf dem Weg in die Küche ist.
»Was?«
»Aufs Brot. Erdbeermarmelade, Traube oder Honig? Es ist schon fast Mittag. Ich mach uns Sandwiches mit Erdnussbutter.«
Ich klemme mir den Zauberstab unter den Arm und folge ihm. Die Decke schleift hinter mir her wie ein Umhang. »Ich hab keinen Hunger. Mein Magen ist noch immer außer Betrieb.«
»Dann mache ich stattdessen Tee und Toast. Hast du deine Medikamente genommen?«
Mein Kopf antwortet mit einem Schütteln, ehe ich ihn daran hindern kann.
»Damit ist die Sache klar. Du musst was im Magen haben, bevor du deine Medizin nimmst. Setz dich doch, Kleines.«
Während das Brot für mich getoastet wird (zwei Scheiben = 154), macht er für sich selbst zwei Sandwiches mit Erdnussbutter und Traubengelee. Er stellt eine Tasse Wasser für den Tee in die Mikrowelle und beißt dann geistesabwesend in sein Sandwich. Holt mir einen Teller aus dem Schrank und beißt dann noch mal ab. Er isst einfach und erledigt dabei andere Dinge, bestreicht den Toast mit Butter (100), ohne mich vorher zu fragen, holt die Milch aus dem Kühlschrank und trägt sie mit dem Teller und dem Tee zum Tisch. Die Hälfte seines ersten Sandwiches
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