Wintermädchen
Zimmer stelle ich den Heizlüfter auf die höchste Stufe und drehe die Stereoanlage bis zum Anschlag auf. Die Musik lässt die Luft flüssig werden und fegt die Blätter von meinem Schreibtisch. Ich krieche ins Bett, aber die Matratze ist mit Steinen und Muscheln gefüllt und ich kann einfach keine bequeme Position finden. Ich schlage Bücher auf, aber die Geschichten haben sich alle verbarrikadiert und ich kenne das Losungswort nicht.
WasWarumWannWieWer?
WasWarumWannWieWer?
WasWarumWannWieWer?
Was jagt mir solche Angst ein? Warum kann ich mir noch nicht einmal wünschen, dass es mir besser geht? Wann bin ich ich und wie erkenne ich es, und wer wäre ich, wenn ich täte, was sie verlangen?
Wie bin ich so geworden?
Vielleicht hat Mom ja Drogen genommen, als sie mit mir schwanger war. Im selben Jahr begann ihre Assistenzzeit im Krankenhaus – wahrscheinlich hat sie die ganzen neun Monate nicht geschlafen und ich kam mit fetalem Koffeinsyndrom zur Welt. Oder Professor Overbrook rauchte Gras, das mit irgendeiner experimentellen Chemikalie vermischt war, und schwängerte Mom deswegen mit mutierten Spermien.
Ist auch egal.
Ich wische Staub auf meinen Regalen und auf der Fensterbank und gehe nach unten, um den Staubsauger zu holen, ein Glas mit Eiswürfeln (Professor Overbrook versucht mit mir zu reden, zu dumm, dass er nicht existiert, ich habe weder Vater noch Mutter, ich habe nur weiße Räume ohne Wände)und die Schachtel mit den Mülltüten. Als der Teppich sauber gesaugt ist, reiße ich einen der Kartons mit all dem Mist aus dem Haus meiner Mutter auf und stopfe alles in eine Mülltüte. Schaue es mir nicht mal an. Höre nicht auf meine Finger, die sagen, es ist eine Puppe, eine Kette, ein Taschenbuch von Jane Yolen, eine Münzsammlung. Ich zerbeiße Eis zwischen meinen Zähnen und schlucke die Splitter runter. Alles ist Müll.
Professor Overbrook kommt herein, als ich den dritten Sack zuschnüre. Ich schaue zu, wie sein Mund sich bewegt. Er reicht mir einen Becher frischen Pfefferminztee und einen Teller mit den hässlich glasierten Plätzchen, die Jennifer für den Schulverkauf besorgt hatte. Dann geht er schnell ins Büro, um irgendwelches Quellenmaterial zu holen, das er dort vergessen hat.
Nachdem er die Flucht ergriffen hat, brösele ich die Plätzchen ins Klo und spüle sie weg. Ich stecke mir eine Extraportion Psychopillen in den Mund und spüle sie mit Eiswasser hinunter, dann quäle ich mich durch fünfhundert Sit-up s …
::dumm/hässlich/dumm/Schlampe/dumm/fett/
dumm/Baby/dumm/Loser/dumm/verloren::
… obwohl mir davon der Bauch wehtut. Gerade weil er wehtut.
Lia die Abscheuliche ruft bei der Rezeption des Motels an. Lia die Abscheuliche teilt Charlie, der den Hörer abnimmt, mit, dass sie die Polizei rufen und aussagen wird, er habe sie sexuell belästigt, falls er nicht augenblicklich Elijah ans Telefon holt.
»Moment«, sagt er.
Während ich warte, kratze ich mir den Nagellack ab. Die dämliche Therapeutin Parker behauptet, dass ich, wenn ich traurig bin, eigentlich wütend bin und wenn ich wütend bin, eigentlich Angst habe. Nicht zu fassen, dass sie dafür bezahlt wird, sich so einen Schwachsinn zusammenzufantasieren. Mir ist danach, einen Krieg zu beginnen oder ein Haus in die Luft zu sprengen oder jede Fensterscheibe in diesem Haus hier zu zertrümmern. Was das ihrer Meinung nach wohl zu bedeuten hat?
Endlich geht Elijah ans Telefon. »Hallo. Was gibt’s?«
Lia: Ich muss mit dir reden.
Elijah: Bist du heute Emma oder Lia?
Lia: Du lügst doch auch andauernd.
Elijah: Ist eine schlechte Angewohnheit.
Lia: Es tut mir leid. Ich entschuldige mich.
Elijah: Okay. Kein Ding.
Lia: Also vertragen wir uns wieder?
Elijah: Ich denk schon.
Lia: Gut. Was macht dein Auto?
Elijah: Wird bis zum Winter fertig, wenn Charlie hier dichtmacht.
Lia: Und wo geht es dann hin?
Elijah: Vielleicht nach Oxford, Mississippi. Oder vielleicht auch zurück nach Mexiko. Hat mir gefallen dort. (Er legt die Hand über die Muschel und sagt etwas zu Charlie.) Ich muss auflegen. Mein Chef hat die seltsame Vorstellung, dass ich auch arbeiten sollte, wenn er mich bezahlt.
Lia: Nein, warte, ich habe eine Frage.
Elijah: Schieß los.
Lia: Du hast erzählt, dass du Cassie zum ersten Mal gesehen hast, als du ihre Leiche gefunden hast.
Elijah: Das ist keine Frage, stimmt aber.
Lia: Auf dem Friedhof hast du mich gefragt, warum ich nicht ans Telefon gegangen bin, als sie mich in dieser Nacht anrief. Woher wusstest
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