Wintermädchen
nehmen, über die neueste Folge einer Fernsehserie oder sonst irgendwas tratschen, in den Fudge beißen, lachen, kauen, weil es gut schmeckt und sich gut im Mund anfühlt, schlucken und spüren, wie sich mein Bauch vor lauter weicher Masse aufzuheizen beginnt. Aber all das ist nicht für mich bestimmt.
»Nein danke«, sage ich.
»Schau nur, wie dünn du bist!«, kreischen sie. »Du musst dir doch wirklich keine Sorgen machen, so wie wir!« Sie klatschen sich auf ihre Schenkel, wackeln mit ihren Hintern, kneifen sich in die Bäuche. »Nimm dir ein Stück. Nimm zwei!«
Eine Hand über mir zieht an Marionettenfäden. Meine Mundwinkel ziehen sich nach oben, ich klimpere mit den Wimpern und zucke mit den Schultern. »Ich hab so viel zu Abend gegessen«, sage ich. »Ich warte noch ein bisschen.«
Eine Horde hungriger Leute unterbricht uns, und wir verkaufen und verkaufen und verkaufen. Irgendwann entdecke ich Mr s Parrish, verkleidet als Weihnachtsfrau, die sich durch die Menge schiebt. Ihre Perücke sitzt schief. Ein paar kleine Kinder flitzen auf sie zu und winken und bitten sie, dem Weihnachtsmann auszurichten, sie seien dieses Jahr sehr brav gewesen. Sie geht weiter, ohne von ihnen Notiz zu nehmen, und steuert genau auf den Plätzchenstand zu. Ich verstecke mich hinter einem der Lebkuchenhäuser, bis sie wieder weg ist.
Als das Konzert beginnt, sage ich den fetten Müttern, dass sie ruhig reingehen sollen, um ihren Kindern zu lauschen, ich würde aufs Gebäck und auf die Kasse aufpassen. Der ganze Fraß kann mich nicht in Versuchung führen. Mir wird übel davon, so stark bin ich.
Die Mütter geben mir hundertmal die Möglichkeit, mein Angebot zurückzunehmen (»nein, ganz sicher, wirklich, geht nur, ehrlich, wirklich«), dann hasten sie in die Aula, bewaffnet mit Notfall-Brownies, falls ihr Blutzuckerspiegel unerwartet abstürzen sollte.
Ich sitze hinter dem Berg aus einzeln verpackten Schokoküssen. Die Band spielt entweder Stille Nacht oder Es war in einer klaren Nacht.
Ich blicke mich suchend in der Halle um. Bis jetzt ist Cassie noch nicht aufgetaucht. Kein Schnee in Sicht. Es riecht zwar nach Ingwer, aber das liegt an den Ingwerkeksen auf dem Tisch. Ich glaube nicht, dass sie kommt, nicht wenn ihr Gesicht am Schwarzen Brett festgetackert ist wie ein Steckbrief im Wilden Westen, nicht wenn ihre Eltern hier sind. Sie würden Cassie auch sehen, das weiß ich. Und dann bräche die Hölle los. Das wagt sie bestimmt nicht.
Ich hole mein Strickzeug heraus, packe die Stricknadeln, strick, strick, ganz fest und wickele den Faden um meinen Finger. Rechts, rechts, links. Rechts, rechts, links. Die Wolle wird von meinen schwitzenden Händen ganz feucht. Rechts, links, rechts. Nein. Ich ribbele sie wieder auf und stricke noch mal. Rechts, rechts, links.
Meine Verräterfinger wollen diesen Fudge. Nein, wollen sie nicht. Sie wollen ein Stück Schichtkuchen und ein paar komische Muffins und diese Brezeln. Nein, wollen sie nicht. Sie wollen die Schokoküsse zerdrücken und sie mir in den Mund stopfen. Werden sie nicht.
Das Strickzeug sinkt auf meinen Schoß. Die Nadeln sind zu schwer, die Wolle wie aus Eisen. Das Knorpelgewebe in meinen Fingern, meinen Knien und Ellbogen wird weniger. Hungerhungerkampf, verhungernverhungern hallt immer wieder über das Schlachtfeld in meinem Kopf.
Alles tut weh.
Eine Tür öffnet und schließt sich, und der Geruch nach Ingwer, Gewürznelken und karamellisiertem Zucker weht mir ins Gesicht und durch die Haare.
Bis jetzt hatte ich heute 41 2 Kalorien. Ich werde sie verbrennen und noch ein paar Hundert dazu, wenn ich die Energie aufbringe, auf den Stepper zu steigen. Ich könnte vielleicht ein halbes Törtchen essen (150) oder ein Viertel (75). Ich könnte die Glasur herunterkratzen und einfach nur am Teig knabbern.
Lieber nicht. Ich kann nicht. Ich verdiene es nicht. Ich bin ein Haufen Fett und finde mich widerlich. Ich nehme jetzt schon zu viel Raum ein. Ich bin eine hässliche, widerliche Heuchlerin. Ich bin eine Last. Zeitverschwendung.
Ich möchte einschlafen und nicht mehr aufwachen, aber sterben will ich nicht. Ich möchte essen wie normale Leute, aber ich muss meine Knochen sehen, sonst hasse ich mich noch mehr und könnte mir das Herz rausschneiden oder alle Tabletten nehmen, die es gibt.
Ich nehme mir das Törtchen, das garantiert am schlimmsten schmeckt: Granatapfel. Rosa Glasur mit roten Streuseln obendrauf. Ich lecke die Streusel ab und kaue. Sie explodieren in meinem
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