Wintermädchen
Hause.«
»Das ist aber nicht der Weg.«
Seine Finger schließen sich fester um das Lenkrad. »Du wohnst bis zur stationären Aufnahme bei deiner Mutter.«
»Nein, Daddy, bitte! Was ist mit Emma? Sie will, dass wir noch mal Plätzchen zusammen backen, und sie braucht Hilfe beim Einpacken deiner Geschenke, und wir wollen doch zusammen Weihnachtslieder in der Kirche singen. Und ich habe versprochen, mit ihr Schlittenfahren zu gehen und Schnee-Engel zu machen.«
Er wechselt ohne Schulterblick auf die Überholspur. »Du wirst Emma nicht mehr sehen, bis es dir besser geht. Vielleicht spornt dich das ja ein bisschen an. Wenn du dir für dich selbst keine Mühe geben willst, dann tu es wenigstens für sie.«
Seine Stimme zerbricht. Er schnieft, schluckt heftig und tritt aufs Gaspedal, sodass die Tachonadel blitzartig in den roten Bereich schnellt. Ich begreife diesen Mann nicht. Ich kralle mich am Türgriff fest und bin mir nicht sicher, ob wir heil ankommen werden.
***
Er hat immer noch einen Hausschlüssel von ihr an seinem Bund, zusammen mit denen fürs Büro, für die Turnhalle, Jennifers Hausschlüssel und drei Autoschlüsseln. Dad schließt auf, tritt ein und wartet, dass ich ihm folge.
Mom Dr . Marrigan ist in der Bibliothek und diktiert Notizen in ihren Computer. Als wir hereinkommen, hebt sie rasch einen Finger und dokumentiert weiter ihren letzten vierfachen Bypass, ein Herr, der sich die letzten vierzig Jahre von Cheeseburgern ernährt hat.
Dad trägt mein Gepäck nach oben ins Gästezimmer in mein Zimmer. Als er wieder runterkommt, sieht es einen Moment lang so aus, als wollte Mom Dr . Marrigan ihm ein Trinkgeld geben wie einem Hoteldiener oder Laufburschen.
»Hast du dich darum gekümmert, wie sie morgen zu Dr . Parker kommt?«, erkundigt sie sich.
»Jennifer wird sie um eins hier abholen und nach dem Termin wieder zurückbringen.« Dad zieht den Reißverschluss seiner Jacke hoch und streift Handschuhe über. »Und hast du für morgen Früh alles geregelt?«
»Wieso muss Jennifer mich denn fahren?«, frage ich. »Ich kann doch selbst hinfahren, wenn ihr mir einen Wagen leiht.«
Sie schauen mich nicht einmal an. Anscheinend bin ich hier gar nicht anwesend.
Mom Dr . Marrigan nickt Dad Professor Overbrook zu.
»Wenn ich das Haus verlasse, wird Melissa, eine meiner Krankenschwestern hier sein, bis Jennifer kommt. Sie kann auch nach Weihnachten helfen, wenn sie dienstfrei hat. Fünfzehn Dollar die Stunde, bar auf die Hand.«
»Gut«, sagt Dad.
»Ihr habt mir einen Babysitter besorgt?«, frage ich.
Sie reagieren nicht. Ich bin immer noch nicht anwesend.
»Wann ist sie zurück?«, fragt Mom.
»Es ist ein Zweistundentermin, also mit Fahrt so gegen halb fünf, Viertel vor fünf«, sagt Dad. »Bist du bis dahin zu Hause?«
Mom Dr . Marrigan rückt den Stapel medizinischer Fachzeitschriften auf dem Beistelltischchen zurecht. »Ich hab bis sieben Uhr Dienst. Morgen ist Heiligabend. Melissa geht zu ihrem Bruder, wenn Lia um eins das Haus verlässt. Wir können nicht von ihr verlangen, an Heiligabend noch mal zu kommen.«
Dad runzelt die Stirn. »Ich denke, Jen könnte bis sieben hierbleiben.«
»Wenn alles ruhig ist, kann ich früher Schluss machen«, sagt sie.
»Das wäre schon gut.«
Sein Abschiedskuss auf meiner Wange ist so flüchtig, dass ich ihn nicht spüre. Er geht zur Haustür hinaus und nimmt sich sogar die Zeit, von außen abzuschließen.
»Die Decke auf dem Sofa ist angeschlossen und aufgeheizt«, sagt Mom Dr . Marrigan. »Und da steht auch eine Schale mit Suppe, Rinderbrühe mit Gerste. Während du die verschwinden lässt, werde ich erklären, wie die Dinge hier laufen werden.«
»Sprichst du gerade mit mir?«, frage ich.
»Ich komme gleich, muss das nur noch schnell fertig machen.«
Nach weiteren zehn Minuten Diktat kommt sie herein und nimmt auf der Kante des anderen Sofas Platz. Ihre Körperhaltung ist so gerade, als würde sie eine Krone auf dem Kopf balancieren. Sie wartet darauf, dass ich den ersten Schritt mache.
»Ich will wieder zurück zu Dad und Jennifer.«
Sie greift nach links, um eine Lampe anzuknipsen. Am Jahresende geht die Sonne früh unter.
»Wir sind uns alle darüber einig, dass du hierbleiben solltest«, erwidert sie. » New Seasons haben vorhin angerufen und deine Aufnahme nächste Woche bestätigt.« Sie wischt ein Staubflöckchen vom Lampenschirm. »Sie haben bereits alle Unterlagen vom Krankenhaus erhalten und werden nach deinem Termin morgen ein
Weitere Kostenlose Bücher