Wintermädchen
gibt keine Tür, die hinausführt.
::dumm/hässlich/dumm/Schlampe/dumm/fett/
dumm/Baby/dumm/Loser/dumm/verloren::
Oma Marrigans Messer mit dem Elfenbeingriff schlüpft unter der Matratze hervor, gleitet ins Badezimmer und legt sich auf die linke Seite des Waschbeckens mit der Klinge zum Spiegel.
Die Tabletten, die ich vor einer Stunde genommen habe, poltern mir durch die Adern wie scheppernde Metallmülleimer, die der Sturm die Straße entlangweht. Die Schlangen in meinem Kopf erwachen, gleiten am Hirnstamm hinauf und schnappen nach den dösenden Geiern. Die Vögel schlagen einmal, zweimal, dreimal mit ihren Nachtflügeln, und schon kreisen sie hoch am Himmel. Ihre Schatten verdunkeln die Sonne.
Ich benutze meine Bluse, um den beschlagenen Spiegel sauber zu reiben. Die Perlenketten aus Wasserdampf winden sich meinen Arm hinauf, perlen über meinen Flaum, meine kleinen weißen Härchen, die mir gewachsen sind, um mich warm zu halten.
Idiotischer Körper. Wozu wächst dir ein Fell, wenn dir gleichzeitig die Haare auf dem Kopf ausfallen?
»Würde dich das nicht interessieren?«, antwortet der idiotische Körper.
»Du gewinnst«, fügt Cassie hinzu.
Ich gewinne, weil ich schlanker bin. Ich bin eine Doppelnull. Ich bin stark geblieben und habe mir alles verboten. Sahnehäubchen gab es für mich nie.
Ich drücke meine Fingerspitzen in die Wangenknochen. Wenn ich meinen Kopf gegen eine Wand schlagen würde, könnte ich bestimmt jeden einzelnen Knochen in meinem Gesicht brechen. Die Finger fahren über mein Kinn, den Hals hinunter, vorbei an den Schmetterlingsflügeln meiner Schilddrüse, hinab bis zu der Stelle, wo meine Schlüsselbeine am Brustbein befestigt sind wie das Gabelbein eines Vogels.
Emmas Katzen sind in der Diele und kratzen unten an der Tür, weil sie ins Bad wollen.
Meine Hände lesen eine Braille-Landkarte aus Knochen, beginnen bei meinen leeren Brüsten mit den blauen, eisigen Venen-Flüssen. Ich zähle meine Rippen wie die Perlen eines Rosenkranzes, murmele Beschwörungsformeln, meine Finger schlängeln sich unter das knochige Gerüst und können fast berühren, was sich dort drinnen verbirgt.
Meine Haut hängt schlaff über dem leeren Bauch, ebenso über die scharfe Kurve meiner Hüftknochen, die Eingeweide wölben sich hervor wie aus Stein herausgemeißelt, bemalt mit verblassenden rosafarbenen Rasierklingennarben. Mein Spiegelbild ist verzerrt. Meine Rückenwirbel sind weiße übereinandergestapelte Murmeln. Aus meinen geflügelten Schulterblättern könnten jeden Moment Federn sprießen.
Ich nehme das Messer.
Die Sehnen an meinem Handrücken spannen sich an, wie Seile, die ein Zelt im Sturm am Boden halten. Schmale Narben winden sich über die Innenseite meiner Handgelenke und werden zur Armbeuge hin breit wie Bänder, jene Stelle, wo ich in der neunten Klasse zu tief geschnitten habe.
Ich gewinne, ich habe gewonnen.
Ich bin verloren.
Die Musik aus meinem Zimmer dröhnt so laut gegen den Spiegel, dass es mir in den Ohren pfeift. Ich starre auf das Geistermädchen auf der anderen Seite, dessen Korsett darauf wartet, noch viel enger geschnürt zu werden, damit es sich selbst immer wieder und wieder in der Mitte falten kann, bis es die Nullgrenze überschreitet und verschwindet.
Ich schneide.
Der erste Schnitt geht vom Hals bis genau unter mein Herz, tief genug, dass ich endlich etwas fühlen kann. Aber nicht tief genug, dass die Haut richtig aufklafft. Der Schmerz ist wie ein Lavastrom und nimmt mir den Atem.
Als Nächstes schneidet das Messer eine Verbindungslinie zwischen zwei Rippen ins Fleisch, dann zwischen die beiden Rippen darunter. Dicke Blutstropfen spritzen auf den Rand des Waschbeckens, reife rote Samenfrüchte. Ich bin dermaßen stark, so eisern und magisch, dass das Messer eine dritte Linie zwischen zwei Rippen zieht, fein säuberlich und gerade. Blut sammelt sich in den Hohlräumen meiner Hüften und tropft auf den Fliesenboden.
Vor meinen Augen reißen schwarze Löcher auf, und der wilde Vogel, der in meinem Herzen gefangen sitzt, beginnt wie verrückt mit den Flügeln zu schlagen. Ich schwitze, endlich ist mir warm.
Die Musik bricht a…
049.00
Die Badezimmertür geht auf.
Emma sieht meine blutverschmierte Haut und die eingeritzten roten Flüsse auf meinem Körper. Das nasse Messer, Silber und Elfenbein.
Die Schreie meiner kleinen Schwester bringen die Spiegel zum Bersten.
050.00
In der Notaufnahme ist überall Nebel. Wütende Schatten huschen die Wände hinauf
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