Wintermädchen
Konferenzgespräch mit Dr . Parker führen.«
»Ich bin achtzehn. Was ich ihr erzähle, ist privat.«
»Nicht, wenn ein Gericht entscheidet, dass du für dich und andere eine Gefahr bist.«
»Seit wann denn das?«
»Ich habe die Hälfte aller Richter hier im Landkreis operiert, Lia. Wenn es sein muss, krieg ich das durch.«
Ich bin nicht achtzehn, sondern zwölf, eingezwängt in Spitzentanzschuhe, um wieder den pas de Mom zu tanzen, und sie steht neben der Bühne und sagt mir, was ich alles falsch mache.
Dampfwirbel steigen von der Suppe auf. »Die haben mir damals schon nicht geholfen. Es ist sinnlos, mich wieder dort hinzuschicken.«
»Das meinte dein Vater auch.«
»Wirklich?«
»Aber er hat seine Meinung geändert, nach dem, was du getan hast. Er gibt endlich zu, wie schlimm die Lage ist, glaubt aber nicht daran, dass die Behandlung anschlagen wird.«
Ich kann nicht anders. »Warum nicht?«
»Weil du nicht gesund werden willst. Er sagt, dass sich nichts bessern wird, solange du nicht gesund sein und ein richtiges Leben führen willst. Und ich bin im Großen und Ganzen derselben Ansicht.«
»Warum mich also hinschicken?«, frage ich. »Wozu das Geld verschwenden?«
»Weil du stirbst, wenn wir es nicht tun.«
»Du übertreibst.« Ich schließe meine Hände um die Suppenschale und beuge mich über den Dampf, begierig auf das brennende Ziehen meiner Nähte. Ich nehme den Löffel und rühre um. Der Bodensatz aus Gemüse und Gerste wirbelt nach oben. Oma hat diese Suppe immer gekocht, aber ich darf nicht kosten. Der erste Schluck würde die Eisschicht zum Schmelzen bringen, auf der ich stehe, die Eisschicht über dem offenen Abgrund.
Ich lasse den Löffel los und vergrabe meine Hände unter der Heizdecke. »Warum heizt du den Raum nicht richtig?« Die Worte kommen zu laut heraus, als wäre mein Lautstärkeregler kaputt.
»Du hast nicht genügend Körperfett, um deine Temperatur zu halten. Die Lösung dafür ist, alle paar Stunden etwas Nahrhaftes zu dir zu nehmen. Ganz einfach.«
»Ich brauche nicht alle paar Stunden was essen. Ich habe einen langsamen Stoffwechsel.«
»Dein Stoffwechsel hat sich verlangsamt, weil dein Körper denkt, dass du mitten in einer Hungersnot steckst. Er hält jeden Milliliter fest, um dich am Leben zu erhalten.«
Meine Fäuste ballen sich im Verborgenen. »Du bauschst meine Probleme unverhältnismäßig auf, um dich nicht der Frage stellen zu müssen, warum es dir selbst so mies geht.«
»Hör auf, vom Thema abzulenken.«
»Hör auf, mich zu schikanieren. Es ist mein Leben. Ich kann tun und lassen, was ich möchte.«
Mom schlägt mit der Hand auf das Beistelltischchen. »Nicht wenn du dich umbringst!«
Ein Windstoß weht heulend durch die französischen Türen zwischen uns und lässt mich erzittern. Sie erhebt sich und beginnt, auf und ab zu gehen. Ich hefte meinen Blick auf einen blassen Farbfleck an der Wand.
»Was soll dieses irrationale Verhalten?«, fragt sie mit dem Rücken zu mir. »Was versuchst du zu beweisen?«
»Glaubt ihr denn, dass es mir Spaß macht, Emma so zu erschrecken und euch so wütend zu machen, dass ihr mich nicht mal mehr anseht?«
Sie dreht sich um. »Ich weiß es nicht. Ich verstehe nichts von dem, was du tust. Trink diese Suppe.«
Ich ziehe mir die Decke bis ans Kinn. »Du kannst mich nicht zwingen.«
Sie zieht die schweren Gardinen zu, wodurch der Luftzug nachlässt und ich in Schatten gehüllt werde. Dann knipst sie zwei weitere Lampen an, ehe sie tief durchatmet und sich wieder hinsetzt.
»Dein Körper möchte leben, Lia, auch wenn dein Kopf es nicht will«, sagt sie. »Deine Werte haben sich im Krankenhaus schnell gebessert. Die Leberfunktion ist besser geworden, dein QT -Intervall ist besser geworden, die Phosphat- und Kalziumwerte ebenfalls. Du bist zäh, und das meine ich im besten medizinischen Sinne.«
Zähes Leder, hartnäckiger Fleck, Säure, die das Gebäude rosten und bröckeln lässt.
»Wenn du nicht isst, werde ich dir das Essen nicht hineinzwingen, auch wenn die Versuchung groß ist. Aber du musst mit Flüssigkeit versorgt werden. Wenn du dich weigerst, Flüssiges zu dir zu nehmen, wirst du in die Psychiatrie eingewiesen. Sofort. Ich habe mich bereits mit Dr . Parker abgesprochen und wegen der Papiere mit jemandem von der Staatsanwaltschaft.«
»Ich werde dich für immer und ewig hassen, wenn du mich in eine Irrenanstalt steckst.«
»Und du musst deine Medikamente nehmen, und zwar alle.« Sie entfernt einen Fussel von
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