Wintermaerchen
Fußboden, den Daumen im Mund, und atmete schwer. »Was ist los?«, fragte Hardesty.
»Abby hat schreckliches Fieber«, antwortete Mrs Gamely. »Sie verglüht innerlich.«
»Sicherlich hat sie sich heute auf dem See verkühlt«, meinte Virginia. Sie hob ihre Tochter hoch und wollte sie in die Dachstube tragen, in der die Kinder wohnten, doch dann besann sie sich anders. »Dort oben ist es zu kalt. Wir müssen ihr hier ein Bett machen.«
Hardesty legte seine Hand auf Abbys Stirn und seufzte bekümmert. »Es ist so plötzlich gekommen«, sagte er.
»Vor einer Minute haben wir noch mit den Maiskolben gespielt«, meinte der kleine Martin mit weinerlicher Stimme.
»Schon gut, Martin. Bald geht es ihr wieder besser«, tröstete Virginia ihn, aber ihre Stimme bebte dabei.
Nachdem sie Abby zu Bett gebracht hatten, maßen sie ihre Temperatur. Sie hatte vierzig Grad Fieber.
»Wo wohnt der Doktor, Mrs Gamely?«, fragte Hardesty.
»Soll ich nicht lieber einen Breiumschlag vorbereiten?«, fragte Mrs Gamely zurück.
»Zur Hölle mit Breiumschlägen!«, sagte Hardesty. »Wo wohnt der Doktor?«
»In dem Haus, das am Ende des Feldwegs steht, der unten beim Gasthaus am See entlangführt.«
Hardesty zog eilig Stiefel, Handschuhe und Parka an. Als er aus der Tür trat, traf ihn die mörderisch kalte Luft wie ein Hammerschlag, sodass er fast zu Boden ging. Im Laufschritt eilte er durch die sternklare Nacht den Weg zum Dorf entlang.
Als er dort eintraf, sah er eine Anzahl Männer, die landeinwärts die Straße hinaufliefen. Einige von ihnen knöpften sich im Laufen die Parkas zu. Überall im Dorf wurden Haustüren zugeschlagen. Aber Hardesty hatte keine Zeit für neugierige Erkundigungen, sondern begab sich geradewegs zum Haus des Arztes. Auf sein heftiges Klopfen hin öffnete die Frau des Doktors die Tür. Sie wusste aus Erfahrung, dass draußen nur der Vater eines kranken Kindes stehen konnte. »Mein Mann ist im Moment nicht zu Hause«, sagte sie. »Aber in ein bis zwei Stunden ist er bestimmt zurück. Ich sag’ ihm Bescheid, dass er sofort zu Ihnen kommen soll. Sie gehen am besten jetzt nach Hause und machen Ihrer kleinen Tochter einen Breiumschlag.«
»Kommen Sie mir nicht mit Breiumschlägen!«, erwiderte Hardesty ungehalten. »Wo ist Ihr Mann hin?«
Die Frau des Arztes räusperte sich. »Er ist mit den anderen zum Schafstall der Moobcots gegangen. Das ist ungefähr zwei Meilen von hier.«
»Warum?«
»Ich weiß nicht. Vorhin sind bei uns eine Menge Männer mit Schrotflinten erschienen. Mein Mann nahm sein Köfferchen und rannte hinaus. Er hat mir nicht gesagt, was da los ist. Nie nimmt er sich …«
Hardesty nahm sich nicht die Zeit, der guten Frau länger zuzuhören, sondern rannte die Straße hinauf, die zu den höhergelegenen Feldern führte. Er hatte nicht die Kondition, um die Männer vom See einzuholen. Damals, als sie sich dem eingeschneiten Zug genähert hatten, waren sie so fit wie Gebirgsjäger gewesen. Als Hardesty nun ganz allein die Straße entlangeilte und ringsherum nichts als Sterne sah, wurde ihm plötzlich schwindelig, und es kam ihm vor, als hätte er die Kontrolle über sich selbst verloren. Dann aber tauchte vor ihm inmitten der Felder ein riesiger Schafstall auf, der auf einem kleinen Hügel stand. Durch das Tor, das einen Spalt breit geöffnet war, ergoss sich helles Licht über den Schnee.
Hardesty trat ein. Die Schafe lagen eng zusammengedrängt in einer Ecke. Vor der gegenüberliegenden Wand standen die Männer aus dem Dorf Schulter an Schulter im Halbkreis. Stall-Laternen brannten über ihren Köpfen. Hardesty erkannte an der fächerförmigen Anordnung der Gewehrkolben, dass die Mündungen der Waffen alle in dieselbe Richtung zielten. Einige der Männer unterhielten sich aufgeregt miteinander. »Diese sind anders als er. Anscheinend sind es nicht dieselben«, sagte jemand.
»Sie sind aber zur gleichen Zeit und auf dieselbe Art gekommen«, entgegnete ein anderer. »Mir gefällt nicht, wie sie aussehen. Sie gefallen mir überhaupt nicht. Sie versuchen möglichst harmlos auszusehen, aber kaufst du ihnen das ab?«
»Was willst du tun, Walter? Willst du sie etwa umbringen?«, fragte eine Stimme von der anderen Seite des Halbkreises her.
»Allerdings!«, war die Antwort. Missbilligendes Gemurmel folgte auf sie.
Hardesty kletterte auf einen Eimer und blickte über die Köpfe der Dörfler hinweg. Auf einer Anzahl Heuballen saßen fünfzig oder sechzig Männer. Nie zuvor hatte Hardesty Wesen
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